Der italienische Geliebte (German Edition)
gleicher Stärke. Als ich dahinterkam, dass er eine Beziehung mit Ihrer Schwester hatte, war ich außer mir vor Wut. Anders kann man es nicht sagen. Er hatte schon vorher immer wieder Affären gehabt, aber diesmal war es schlimmer, wegen des Kindes. Da habe ich Ihre Schwester angerufen und behauptet, Milo hätte schon wieder eine Andere. Ich behauptete, er liebte sie nicht mehr und hätte kein Interesse an ihr und dem Kind.« Rebecca sah Freddie gerade in die Augen. »Sie war natürlich erregt. Deshalb ist sie an dem Nachmittag nach Oxford gefahren. Sie wollte mit Milo reden. Sie wollte von ihm hören, ob das, was ich behauptet hatte, stimmte.«
»Sind Sie ganz sicher?«, fragte Freddie leise.
»Vollkommen sicher können wir nie sein, aber ich glaube, dass es so war, ja.«
»Und das wussten Sie damals schon?«
»Ja. Ich hoffte, ich würde auf der Beerdigung mit Ihnen sprechen können und hören, dass Ihre Schwester an jenem Nachmittag aus einem anderen Grund nach Oxford unterwegs war. Aber dazu kam es nicht.«
»Aber Sie haben mir nichts gesagt .«
»Nein.« Rebecca runzelte die Stirn. »Damals war ich erleichtert. Ich dachte wahrscheinlich, ich wäre davongekommen. Und später konnte ich nicht erkennen, was es helfen würde. Ich wusste, dass das Kind gestorben war und Ihre Schwester den Unfall überlebt hatte. Ganz gleich, was ich gesagt hätte, es hätte nichts geändert.«
Ich dachte wahrscheinlich, ich wäre davongekommen. Freddie erinnerte sich der langen, schrecklichen Monate nach Tessas Unfall, an Tessas Kummer und Schmerz.
»Und da haben Sie einfach weitergemacht«, sagte sie, »als wäre nichts geschehen?«
»Nein. Ich habe Milo verlassen und versucht, mir ein eigenes Leben zu schaffen. Aber ich konnte nicht. Es wurde erst möglich, als mein Leben ganz und gar in Scherben lag. Da konnte ich noch einmal von vorn anfangen.«
»Tessas Leben lag in Scherben, nicht Ihres!« Freddie konnte ihren Zorn nicht länger zurückhalten. »Und das Kind, das arme kleine Kind.«
»Ja.« Derselbe gerade, stetige Blick. »Natürlich. Das ist wahr.«
Und doch hatte auch Rebecca Rycroft zweifellos gelitten. Freddie erinnerte sich ihres Hasses auf Marcelle Scott, nachdem Lewis sie verlassen hatte. Wie sie sich in diesen Hass hineingesteigert hatte, sodass er Tag und Nacht ihre Gedanken besetzt hatte. War nicht auch ihr Leben durch das Scheitern ihrer Ehe in Scherben gegangen? Wenn sie eine Möglichkeit gesehen hätte, Marcelle leiden zu lassen, hätte sie sie dann nicht wahrgenommen?
»Es tut mir leid«, sagte sie steif. »Ich hätte Sie nicht anschreien sollen.« Sie trank einen Schluck Tee. »Sie sagten, dass Sie noch einmal von vorn angefangen haben. Wie haben Sie das gemacht?«
»Zuerst ist mir ein Engel begegnet.«
»Ein Engel?«
»Ja. Sie können mich für verrückt halten, wenn Sie wollen. Vielleicht war ich das ja auch. Er hatte keine Flügel und keinen Heiligenschein – nein, mein Engel hatte eine Schirmmütze auf und einen Tornister auf dem Rücken. Aber ich glaube heute wie damals, dass an diesem Tag etwas Außergewöhnliches passiert ist. Wie dem auch sei, er sagte, ich solle hinaustreten. Das war der Rat, den er mir gab, hinauszutreten. Und das habe ich getan. Ich bin aus meinem Leben hinausgetreten.«
Einen ähnlichen Impuls hatte Freddie neuerdings auch manchmal verspürt. Wenn sie morgens vor dem Spiegel gestanden und sich geschminkt hatte oder wenn sie am Morgen die Rolltreppe hinunter zur U-Bahn gerannt war, hatte sie plötzlich der heftige Wunsch gepackt, aus ihrem eigenen Leben zu fliehen. Meistens hatte sie diese gefährlichen Gedanken verdrängt, aber hin und wieder war sie ihnen gefolgt wie durch einen langen Tunnel.
»Und wie haben Sie das gemacht?«, fragte sie.
»Ich bin auf einen Bauernhof in Sussex gezogen. Dort habe ich Connor kennengelernt. Ich blieb fast den ganzen Krieg hindurch dort, bis meine Mutter krank wurde. Anfangs war es hart. Ich hatte bis dahin ein sehr komfortables Leben geführt, obwohl es mir jetzt in der Rückschau ziemlich leer vorkommt. Es ist merkwürdig, wie leicht wir uns an ein Leben gewöhnen, das nicht das Richtige für uns ist. Und ich bin mir nicht sicher, ob es uns guttut, nur mit dem Herzen zu leben. Ich glaube, wir müssen auch unseren Verstand und unsere Hände gebrauchen. Ich habe auf dem Hof gearbeitet, und nach einer Weile habe ich angefangen, mit Glas zu arbeiten. Es war, als hätte ich
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