Der italienische Geliebte (German Edition)
Lippen, die mit geschlossenen Augen das Gesicht der Sonne entgegenhielt. Das lange Haar fiel ihr dicht gekraust über die Schultern, wie bei den gemalten Frauenköpfen in ägyptischen Grabkammern. Dieses Stück nannte sie ›Isis‹. Die nächste Figur stellte eine Frau mit breiten Hüften und Falten um Augen und Mund dar. Dazu verwendete sie Glas in satten Türkis- und Smaragdtönen, Nuancen von Bronze und Braun, und gab der Figur den Namen ›Elisabeth‹. Sie dachte daran, ihre Schwangere ›Mona‹ zu taufen, nannte sie dann aber doch lieber ›Gaia‹.
Sie schuf die Glasskulpturen im Lauf eines Jahres. Connor half ihr bei der Gestaltung der Formen. Nachts träumte sie von ihren sieben Frauen, sah sie stark und stolz über die Hügel von Oxfordshire bei der Alten Mühle schreiten, Sterne in den Augen, die durchscheinenden Gesichter vom Mondlicht durchströmt.
Das letzte Stück war technisch das schwierigste. Es sollte nur eine Büste werden. Zunächst arbeitete Rebecca den Kopf in Wachs, dann überzog sie die Wachsplastik mit einer Mischung aus Gips und Silikon. Als der Gips trocken war, schmolz sie das Wachs über Wasserdampf, sodass eine hohle Form zurückblieb, die sie dann mit Glasstücken füllte.
Nun kam der heikelste Teil. Ihre ersten drei Versuche gingen daneben, entweder das Glas zersprang ihr im Ofen oder es stellte sich nicht der Effekt ein, den sie wünschte. Beim vierten Mal füllte sie die Form zum Teil mit Glas und deckte dann eine Schicht gekrümelte Töpfererde auf den oberen Kopfteil. Danach füllte sie den Rest der Form mit Glas auf.
Sie konnte kaum ihre Spannung zügeln, als sie das abgekühlte und gehärtete Stück aus dem Ofen holte und die Gipsform abnahm. Der gläserne Kopf entstieg durchscheinend und lichterfüllt der Form. Dann entfernte sie ganz vorsichtig, zuerst mit den Fingern, dann mit einem weichen Pinsel die Tonbrösel. Der Kopf war, wie von ihr beabsichtigt, von einem feinen Riss durchzogen.
Freddie zog aus der Wohnung aus und suchte sich etwas Kleineres in South Kensington. Die traurigen Formalitäten der Scheidung, das Feilschen und Handeln, die Abfindungsregelung wurden abgewickelt. Sie wollte nichts von Lewis. Sie wollte sich nur frei fühlen.
Aber das konnte sie nicht. Sechs Jahre Ehe ließen sich nicht einfach mit einem Stück Papier ungeschehen machen. Ihre Verachtung für Lewis und ihr Hass auf Marcelle ließen sich nicht einfach abstellen. Monatelang blieb sie davon besessen. Wenn sie in der Galerie war, wenn sie im Bus nach Hause fuhr, spielten sich in ihrem Kopf erregte Szenen ab, Auseinandersetzungen mit Marcelle, bei denen ihr die Worte wie tödliche Pfeile von den Lippen flogen, während Marcelle klein und demütig um Verzeihung bettelte.
Aber eines Tages erwachte sie und war nicht mehr wütend. Dafür zu Tode erschöpft. Es kostete große Mühe, sich die Zähne zu putzen, sich anzuziehen, zur Arbeit zu gehen. Sie weinte viel, und abends, wenn sie aus der Galerie nach Hause kam, hatte sie keine Lust, etwas zu kochen, aß stattdessen eine Schale Weetabix oder eine Scheibe Toast. Die Müdigkeit hielt Monate an; der Arzt, der ihr ein Eisenpräparat verschrieb, erklärte ihr, sie sei eine Reaktion auf das Trauma der Scheidung. Aber bei näherem Überlegen kam sie zu dem Ergebnis, dass es mehr als das war. Tessas Tod, der ständige Existenzkampf in ihrer Ehe mit Lewis, der Brand der Werft: Es war eines zum anderen gekommen.
Im Sommer 1951 reiste sie mit Ray und Susan und ihren Kindern nach Frankreich. Später erschien ihr dieser Urlaub als Wende. Ray hatte eine Villa in der Provence gemietet; Freddie half Susan mit den Kindern, machte lange Wanderungen und las viel. Oft aber lag sie auch nur dick eingecremt, mit einem Strohhut auf dem Kopf, irgendwo im Schatten, döste und ließ ihre Gedanken schweifen.
Oft dachte sie an Jack. Unmittelbar nach dem Bruch mit Lewis war sie zu verwundet gewesen, um auch nur daran zu denken, wieder Verbindung mit ihm aufzunehmen. Sie wollte sich nur zurückziehen, nicht neuen Verletzungen aussetzen. Und als die Talsohle der Depression endlich hinter ihr lag, glaubte sie, zu lange gewartet zu haben. Mehr als zwei Jahre waren vergangen, seit sie sich am Strand geküsst hatten, mehr als zwei Jahre, seit sie ihm erklärt hatte, sie liebe ihn nicht. Sie hatte ihm keine Möglichkeit des Zweifels gelassen. Jack würde sie vergessen, eine andere gefunden haben. Es war ihm wahrscheinlich ohnehin nicht ernst
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