Der Jade-Pavillon
Im Bach. Und am Abend werde ich es nochmals tun. Ich bade von Kind an im kalten Bach. Früher erfrischte er mich, heute muß ich mich in wollene Tücher wickeln.«
Deng Jintao nickte stumm. Er ging zu dem Tischchen, schraubte die Thermoskanne auf, goß zwei Deckeltassen voll Tee und brachte sie zu der Säule mit dem kleinen Jade-Pavillon. Er stellte sie vor ihm auf, schwenkte die Gebetsmühle darüber, murmelte einige unverständliche Worte und legte dann seine Hand auf die Tassendeckel.
Kniend nahmen Ling und Junpei danach die Tassen in Empfang und tranken vorsichtig den heißen Inhalt. Natürlich, es war grüner, naturbelassener Tee, so wie ihn Millionen Chinesen immer trinken, aber dennoch schmeckte er anders. Ling merkte es sofort – etwas Bitteres war dazugegeben, auch Ingwer fühlte seine Zunge heraus, und als der erste Schluck durch seine Kehle rann, war es ihm, als würde seine Speiseröhre taub und gefühllos. Aber tapfer trank er, genau wie Junpei neben ihm, die Tasse leer und blickte dann ehrfurchtsvoll zu Deng Jintao hinauf. Die Schmerzen im Magen ließen nach. Das hatte der Heilkundige Kuang Yemei seit Wochen nicht erreicht mit seinen Tropfen, Pülverchen und Kräuterkügelchen.
Deng Jintao zeigte auf eine gelbbemalte Bank an der Mauer des Schlafhauses. Ling erhob sich von den Knien, schlurfte hinüber und legte sich auf die Bretter. Lautlos, wie sein Schatten, folgte ihm Junpei.
Deng Jintao beugte sich über ihn, schob Ling die blaue Mao-Jacke bis zum Kinn hinauf, so daß der schmächtige Bauch freilag, und ließ seine Hände über die lederfarbene Haut gleiten. Ab und zu drückte er bald hier, bald da, und wenn Ling die Lippen verzog, nickte er und tastete weiter. »Säufst du?« fragte er plötzlich.
Ling erschrak. Was sollte er antworten? »Ein Becherchen, ab und zu. Es belebt die Sinne.«
»Wein oder Schnaps?«
»Schnaps, o Meister.« Ling begann, sich zu schämen. »Immer nur ein Becherchen voll Dreiblumenschnaps.«
»Auf nüchternen Magen?«
»Bevor ich im Bach bade, ja. Dann ist die Müdigkeit wie weggeflogen.«
»Aber dein Magen brennt. Du stößt sauer auf.«
»Ja. Aber erst seit einigen Wochen, Meister. Dabei trinke ich den Schnaps seit über fünfzig Jahren.«
»Du hast deinen Magen fünfzig Jahre lang geschlagen und gequält. Jetzt mußt du eine kurze Zeit selbst gequält werden.«
Der uralte Lamamönch verschwand in seinem Zimmer und kam mit einem farblosen Schlauch zurück, an dessen einem Ende ein chromblitzendes Instrument stak, das aussah wie ein Lämpchen und eine Linse. Ängstlich starrte Ling auf das Gerät und spannte alle Muskeln an.
»Den Schlauch werde ich jetzt durch deine Speiseröhre bis in den Magen schieben«, sagte Deng Jintao, beugte sich über den entsetzten Ling und rückte dessen Kopf gerade. »Ich werde in deinen Magen hineinsehen und die Krankheit aus ihrem Versteck holen.«
»Hineinsehen? In meinen Magen? In mein Inneres?« stotterte Ling und versteifte sich noch mehr.
»Auch wenn ich es dir erkläre, du wirst es nicht verstehen. Man nennt es Endoskopie. Ich leuchte in deinen Magen hinein und sehe jede Veränderung. Vielleicht sauge ich auch ein Stückchen deiner Magenschleimhaut ab, ich habe dann deine Krankheit vor mir liegen.«
»Sie wollen mich aussaugen, Meister?« Lings Stimme hatte jeden Klang verloren. »So wie der Schwarze Drache das Blut der Menschen trinkt?«
»Nur ein winziges Stück.« Deng Jintao beugte sich noch tiefer über Ling. »Den Mund auf!« befahl er plötzlich.
Ling, sein Leben lang daran gewöhnt zu gehorchen, riß den Mund weit auf. Seine gelbbraunen Zahnstümpfe sahen wie verhärtete Lehmklümpchen aus. Er hielt den Atem an, als der Meister den Schlauch in seine Kehle drückte und ihn durch die Speiseröhre abwärts stieß.
»Ich kotze«, wollte Ling röcheln. »Es … es steigt hoch … Luft! Ich ersticke. Ich – « Er umklammerte Junpeis Hand, als könnte sie ihn auf der Erde festhalten, doch dann fiel er in eine tiefe Ohnmacht und spürte nichts mehr von dem Hineingleiten des Endoskopes in seinen Magen.
Ling wachte auf, weil er schlucken mußte. Junpei flößte ihm den fremdschmeckenden grünen Tee ein, während man Deng Jintao im Haus klappern und mit Glas hantieren hörte. Die alte, gebeugte Lamanonne mit den langen weißen Haaren, von der Junpei nur wußte, daß sie Hao Peihui hieß und ihr Alter nicht angeben konnte, in so fernem Dunkel lag ihre Geburt, hatte um den kleinen Jade-Pavillon auf der Säule einige
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