Der Jade-Pavillon
einen neuen Traktor anzahlen. Aber Ling schüttelte den Kopf, setzte sich im Innenhof des Hauses auf eine umgestürzte tönerne Vase und sah hinauf zu Xu Junpei, seiner Frau. Sie hatte ihm sieben Kinder geschenkt, und Ling pries sich glücklich, nicht ein Mensch der heutigen Zeit zu sein, wo die Regierung nur ein Kind je Ehe duldete, das zweite nur auf Antrag gezeugt werden durfte und das dritte gnadenlos abgetrieben wurde. Nun war Junpei verhutzelt wie eine Ginsengwurzel, aber Ling liebte sie noch immer und hatte keine heimliche Konkubine, mit der er sich an uneinsehbaren Bergstellen traf.
»Hör zu, mein stiller Herbstsee«, sagte er. Er nannte Junpei seit ihrem vierzehnten Jahr so, als er sie beim Drachenbootfest im Tempel der fünf Phönixe am Schwarzen-Drachen-Teich kennengelernt hatte, mit ihr in Bambusblätter gehüllte Klebreisklöße gegessen und nach einem Blick in ihre glänzenden Augen sie ›Stiller Herbstsee‹ genannt hatte. Bald darauf hatten sie geheiratet, ihre Kinder bekommen, ihre Felder erweitert und sogar die Kulturrevolution Mao Zedongs überlebt. Denn Ling war ein gerissener Bursche. Kaum hatte die alles zerstörende Revolution begonnen, klebte er über die Tür seines Hauses den mit weißer Schrift auf roten Stoff geschriebenen Spruch: ›Unter dem Himmel dient alles der Gemeinschaft.‹ Weitere Mao-Sprüche zierten jede Tür im Haus: ›Dem Volke dienen!‹, ›Ein Leben für die Partei, für die Revolution!‹ Eindruck machte vor allem die Parole, die als Spruchband quer über den Innenhof gespannt war: ›Für die große Gemeinschaft, gegen individuelle Interessen!‹ Das rettete die Familie Yang vor der Vernichtung und der Zwangsarbeit. Als Mao 1976 starb, war Lings erste Tat, alle Sprüche von seinem Haus zu entfernen.
»Hör zu«, sagte er, neu ansetzend, und blickte hinauf zu Junpei. »Mir geht es nicht gut. Der Magen. Ich habe Schmerzen. Immer schwächer werde ich. Gestern wäre ich in einer kleinen, sanften Kurve fast vom Traktor gefallen. Das ist mir seit vierzig Jahren nicht passiert. Irgend etwas frißt mich von innen auf.«
Junpei schwieg. Sie hatte in ihrem Leben nie viel gesprochen, wozu auch? Was Ling sagte und tat, war immer richtig gewesen, und eine Frau soll nicht dreinreden, wenn sie es nicht besser kann. Sie hatte Ling immer nur angesehen und genickt. Es war schon eine große, außergewöhnliche Liebe, daß er ihr überhaupt davon erzählte, was er getan hatte und was er tun würde, und sie war zeit ihres Lebens glücklich gewesen, einen Mann wie Ling zu haben, der sie nicht einfach auf die Decke warf und in sie eindrang, sondern der zu ihr zärtlich war, sie streichelte und ihre Brüste küßte.
»Du bist krank?« fragte sie. Es klang, als bitte sie um Verzeihung, so etwas ausgesprochen zu haben.
»Ja.«
»Und du warst schon bei Kuang Yemei?«
Eine dumme Frage – Ling sah seine Frau strafend an. Kuang Yemei war der Heilkundige des Dorfes Changli, so wie jedes Dorf einen Kundigen besitzt, der sich auskennt mit der tausendjährigen Medizin, wie sie die Natur liefert. Wo war der nächste Arzt? In Lijiang oder in Dali, und die ganz guten Ärzte, die Professoren, betrieben ihre Praxen in Kunming, wohin man mit dem Bus vierzehn Stunden fuhr.
»Er sagt: ›Unreine Säfte!‹ Ja, das sagt er.« Ling räusperte sich, sammelte den Schleim in der Mundhöhle und spuckte ihn dann seitlich in einen runden, bemalten Tontopf. »Und gesagt hat er auch: ›Du bist alt, Ling, da ist es wie mit deinem Motor am Traktor. Der rostet und knirscht und rasselt, und plötzlich platzt er auseinander. Ich kann dir etwas gegen die Schmerzen geben. Wissen, was es ist, können nur die Ärzte in Kunming. Die haben Apparate, habe ich mir sagen lassen, damit schauen sie dir in den Bauch. Willst du nach Kunming?‹«
»Ja, willst du nach Kunming?« fragte Junpei, als Ling schwieg und tief atmete. Neuer Schleim saß ihm in der Kehle fest.
»Nein. Dann könnte ich mein Geld auch in der Suppe kochen.«
»Du willst sterben? Einfach so sterben? Glaubst du, du bist mit dem Leben fertig?«
Ling schüttelte den Kopf. Er erhob sich von der großen Vase, ging durch den Innenhof, trat hinaus ins Freie und blickte hinüber zu den dreizehn leuchtenden Schneegipfeln des Yulongxue Shan und dem alles beherrschenden Jadedrachen-Berg. »Dahin gehe ich«, sagte er. »Das ist meine letzte Hoffnung. Das Jadedrachen-Kloster. Ein Mönch lebt dort, Deng Jintao heißt er – man sagt, seine Hände habe Buddha
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