Der Jäger
besser gehen. Um drei habe ich schon meinen nächsten Termin.« Und an Kullmer gewandt: »Wir sehen uns heute Abend um sieben?«
Kullmer errötete wieder wie ein kleiner Junge und nickte. »Ich bin pünktlich um sieben bei Ihnen.«
»Vergessen Sie aber nicht, Ihre Daten mitzubringen. Sonst kann ich Ihnen leider kein Horoskop erstellen. Und Sie wollen doch den Weg nicht umsonst machen, oder? Auf Wiedersehen.«
Nachdem sich die Tür hinter Ruth Gonzalez geschlossen hatte, sagte Durant grinsend: »Nachtigall, ick hör dir trapsen. Schöne Frau, was? Genau Ihre Kragenweite. Dann mal viel Glück heute Abend.«
»Ich will mir wirklich nur ein Horoskop erstellen lassen«, erwiderte Kullmer.
»Ja, natürlich willst du das«, sagte Hellmer und boxte ihm auf den Arm. »Erst ein Horoskop, dann essen gehen, und dann wird man ganz allmählich bettschwer.«
»Na und? Ich find sie toll. Alles andere geht keinen was an.« Er verschwand in seinem Büro und knallte die Tür hinter sich zu.
»Die beiden scheinen sich zu verstehen. Lassen wir ihm den Spaß. Und jetzt?«
»Jetzt machen wir Schluss für heute«, sagte Julia Durant mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan und will bloß noch nach Hause. Wir können im Moment sowieso nur abwarten. Orion, der Jäger. Der Kerl ist bei seiner Jagd aber ganz schön erfolgreich.«
»Ihr Sarkasmus, Frau Durant, ist heute kaum zu überbieten«, sagte Berger.
»Mein Sarkasmus hilft mir, diese ganze Scheiße überhaupt zu ertragen. Und außerdem sollten Sie sich mal an die eigene Nase fassen. Hellmer und ich sind jetzt jedenfalls weg, aber nicht unerreichbar. Ciao. Und ein schönes Wochenende.«
Freitag, 15.45 Uhr
Julia Durant schaute noch kurz bei Hellmers rein, unterhielt sich mit Nadine, trank einen Kaffee und aß ein Stück Kuchen, bevor sie sich um Viertel vor vier verabschiedete. Sie wollte nach Hause, allein sein. Ein Bad nehmen, die Wohnung aufräumen, fernsehen und vielleicht ihren Vater oder Susanne Tomlin anrufen. Früh zu Bett gehen, in der Hoffnung, nicht wieder mitten in der Nacht geweckt zu werden, weil dieses Monster noch eine Frau umgebracht hat.
Sie quälte sich durch den dichten Freitagnachmittagsverkehr, überlegte, ob sie noch etwas aus dem Supermarkt brauchte, beschloss, sich eine Tomatensuppe mit Nudeln und Fleischklößchen und ein paar Dosen Bier zu kaufen. Im Briefkasten waren die Rechnung der Stadtwerke, zwei Reklamebriefe und eine Postkarte von einer Bekannten aus München, die für drei Wochen Urlaub auf Mauritius machte. Im Treppenhaus begegnete sie der alten Frau, deren Namen sie nicht einmal kannte, die über ihr wohnte, die sie freundlich grüßte und ein paar Worte mit ihr wechselte, welche Durant kaum verstand, weil sie sehr schnell sprach und nuschelte.
Sie war müde und fühlte sich ausgehöhlt, ihre Gedanken kreisten in einem fort um Maria van Dyck, dieser jungen Frau, deren Leben so früh und so sinnlos beendet worden war. Sie schloss ihre Tür auf, kickte sie mit dem Absatz zu, öffnete die Fenster, damit die milde Herbstluft hereinkonnte, und ließ ihren Blick durch die Wohnung wandern. Dann stellte sie die Tüte ab, zog die Lederjackeund die Schuhe aus und war gerade im Begriff, sich zu setzen, als das Telefon klingelte. Hellmer war am Apparat.
»Hi, ich bin’s, Frank. Ich wollte dir nur sagen, dass Morbs soeben den Autopsie- und Laborbefund von Maria van Dyck an Berger geschickt hat. Jetzt halt dich fest – sie hat ungefähr fünfzig Milligramm Valium intus gehabt. Außerdem haben die im Labor auch noch Librium, ebenfalls ein Tranquilizer, und Aponal, ein Antidepressivum, nachweisen können. Und sie war keine Jungfrau mehr. Was sagst du jetzt?«
»Scheiße! Kein Mensch nimmt fünfzig Milligramm Valium auf einmal. Und vor allen Dingen nicht zusammen mit Librium und Aponal. Hat Berger dich angerufen?«
»Ja, gerade eben. Ich weiß auch nicht, warum der immer noch im Büro hockt. Wahrscheinlich besäuft er sich dort, wenn alle gegangen sind. Egal, was machen wir jetzt?«
»Gar nichts. Ich frag höchstens Richter, ob der irgendwas von diesen ganzen Sachen weiß. Ansonsten warten wir ab. Ich hab keine Lust, heute noch Bäume auszureißen. Mach du von mir aus, was du willst, aber lass mich da raus. Ich ruf nur noch Richter an, ab dann gehört das Wochenende mir.«
»In Ordnung. Und wenn irgendwas ist, sag mir Bescheid. Du kannst jederzeit herkommen. Tschüss.«
Der Anrufbeantworter
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