Der Jäger
und dein Bierkonsum ist auch nicht ganz ohne. Aber letztendlich ist es dein Leben.«
»Gibt’s irgendwas Neues?« Julia Durant wechselte das Thema, weil ihr heute nicht nach Vorwürfen zumute war, auch wenn ihr Vater eigentlich nie den Zeigefinger erhob.
»Nein, alles beim Alten. Du weißt ja selbst, wie die Leute hier sind. Sie klatschen und tratschen, und jeder geht seinen eigenen Weg. Das ist nun mal die Welt von heute. Deshalb werde ich wohl bald mal wieder diesem Provinzmief entfliehen. Ich weiß nur noch nicht, wohin. Hast du nicht einen Tipp für mich?«
»Südfrankreich. Es ist ein herrliches Fleckchen, vor allem dort, wo meine Freundin Susanne wohnt.«
»Ich weiß nicht, jetzt im Winter ist auch Südfrankreich nicht gerade der wärmste Ort. Ich bin ein alter Mann und will lieber dorthin, wo es warm ist und den ganzen Tag die Sonne scheint.«
»Okay, Paps, wenn’s sonst nichts gibt, steig ich jetzt mal in die Badewanne. Mein Wasser müsste inzwischen fast kalt sein. Ich melde mich, wenn das alles hier vorbei ist. Und dann komm ich für ein paar Tage runter.«
»Pass gut auf dich auf. Und geh früh schlafen. Tschüss.«
»Tschüss.«
Sie legte auf und verzog die Mundwinkel. Auf einer Seite hatte ihr Vater Recht, auf der andern bereitete ihr die Arbeit zumindest die meiste Zeit Spaß. Und sicher würde sie sich auch bald wieder besser fühlen. Sie ging ins Bad, hielt die Hand ins Wasser, das nur noch lauwarm war, ließ die Hälfte ablaufen und drehte den Heißwasserhahn auf. Sie holte sich eine Dose Bier aus der Küche und die Zigaretten und den Aschenbecher und stellte alles auf den kleinen Hocker neben der Badewanne. Dann entkleidete sie sich und legte sich in das jetzt angenehm warme Wasser. Sie trank einen Schluck Bier, rauchte eine Zigarette und war mit einem Mal wieder hellwach. Am liebsten hätte sie sich etwas Schönes angezogen, um auszugehen, in ihre Bar, wo sie schon so manch netten Mann kennen gelernt hatte. Den Hormonhaushalt wieder in Ordnung bringen. Sich eine Nacht lang treiben lassen.
Sie dachte an Kullmer, der jetzt wahrscheinlich bei Ruth Gonzalez war und sich ein Horoskop erstellen ließ, und wie sie Kullmer kannte, würde es nicht dabei bleiben. Allein die Blicke, die sie sich am Nachmittag im Präsidium zugeworfen hatten, hatten Bände gesprochen. Sie beneidete Kullmer, mit welcher Unverfrorenheit er die Dinge anging, lässig, Kaugummi kauend. Er hatte fast zwei Jahre eine feste Beziehung gehabt, und alle hatten geglaubt, er würde bald heiraten, bis er eines Tages ins Büro gekommen war, traurig und enttäuscht, und Hellmer mitgeteilt hatte, dass seine Freundin ihm weggelaufen sei.
Irgendwie war es ihr auch egal, was Kullmer machte, ob er mit der Gonzalez oder nicht … Es war sein Leben.
Sie wusch sich die Haare, stieg kurz darauf aus der Badewanne, frottierte sich ab, föhnte die Haare trocken und putzte sich die Zähne. Sie stellte sich seitlich zum Spiegel, unterzog ihre Figur einer genauen Prüfung und ärgerte sich einmal mehr über ihren kleinen Hängebauch. Aber wen kümmerte es schon, es gab ja im Moment keinen Mann, der sie nackt sah. Sie zog sich frische Unterwäsche an und ging ins Wohnzimmer. Die Müdigkeit war wieweggeblasen. Sie schaute auf die Uhr, Viertel nach zehn, schaltete auf die NDR Talk-Show, trank noch ein Bier und rauchte vier Zigaretten. Nach der Talk-Show legte sie sich ins Bett, in der Hoffnung, schnell einzuschlafen und vor allem die Nacht ohne Albträume zu überstehen. Sie ließ die Nachttischlampe brennen, etwas, das sie als kleines Mädchen immer gemacht hatte, als sie sich noch vor Gespenstern, Vampiren und Werwölfen fürchtete. Sie lag noch eine ganze Weile wach, ihr Herz klopfte in gleichmäßigem Rhythmus. Lange nach Mitternacht schlief sie ein.
Freitag, 19.00 Uhr
Richter wartete seit Viertel vor sieben in seinem Jaguar vor Claudia van Dycks Wohnung. Sie hielt neben ihm. Trotz der Dunkelheit trug sie eine Sonnenbrille und ein Kopftuch. Er stieg aus und folgte ihr. Erst als sie in der Wohnung waren, fiel das erste Wort.
»Also, was gibt es so Wichtiges, dass du mich ausgerechnet heute sehen musst?«, fragte sie mit kühler Stimme und noch kälterem Blick. Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen, ihre Augen waren klein und gerötet. Sie zitterte, holte eine Flasche Cognac aus dem Barfach und schenkte sich ein.
»Willst du auch einen?«
»Nein danke, jetzt nicht. Ich muss mit dir sprechen«, sagte er und setzte sich aufs Bett. Sie
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