Der Jäger
Schluck.
Nachdem sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, stand sie auf, erledigte ihre Morgentoilette, zog sich an und frühstückte einen Teller Cornflakes mit Milch und Zucker, trank zwei Tassen Kaffee und rauchte danach eine Gauloise. Um kurz nach halb acht verließ sie die Wohnung, um ins Präsidium zu fahren. Auf dem Weg dorthin hörte sie die Nachrichten, in denen das Topthema ein libyscher Terrorist war, der seit einem Monat in Frankfurt unter dem Verdacht des mehrfachen Mordes in Untersuchungshaft saß und dessen Prozess am kommenden Donnerstag beginnen sollte. Die Libyer forderten seine Freilassung, da er im Auftrag der Regierung angeblich als Kaufmann unterwegs war, doch gab es mittlerweile hieb- und stichfeste Beweise für seine Schuld. DieBundesregierung verweigerte eine Abschiebung. Libysche und andere arabische Terrorgruppen drohten mit Anschlägen, sollte er nicht umgehend freikommen. Julia Durant zuckte die Schultern und sagte zu sich selbst: »Warum habt ihr Idioten ihn überhaupt erst festgenommen und nicht gleich abgeknallt?« Die weiteren Meldungen waren eher belanglos, der Verkehrsbericht umfangreich wie jeden Montagmorgen, den Wetterbericht bekam sie nicht mehr mit.
Als sie ihr Büro im zweiten Stock des Polizeipräsidiums betrat, waren bereits ihre Kollegen Hellmer und Kullmer sowie ihr Chef Berger da.
»Morgen«, murmelte sie und hängte ihre Tasche über die Stuhllehne.
»Guten Morgen, Frau Durant«, erwiderte Berger mit ernstem Blick und in merkwürdigem Ton. Sie kannte diesen Blick seit einigen Jahren und wusste, dass der Begrüßung gleich etwas Unangenehmes folgen würde.
»Hallo, Julia«, sagte Hellmer mit ebenfalls ernster Stimme und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, »wie war dein Wochenende?«
»Abgehakt«, antwortete sie nur und setzte sich. »Was gibt’s Neues?«
»Hier.« Berger reichte ihr eine Akte über den Tisch. »Lesen Sie selbst.«
Sie las schweigend, wölbte die Lippen, sah erst Berger, dann Hellmer an.
»Verdammte Schweinerei«, sagte sie leise und schaute erneut auf das Papier. Schließlich betrachtete sie eingehend die Fotos, die vom Opfer aus allen erdenklichen Positionen gemacht worden waren. Es war immer wieder ein makabrer, schrecklicher Anblick, die Bilder von gewaltsam zu Tode Gekommenen anzusehen. Dieses Opfer war erdrosselt worden. Sie war bekleidet, ein Arm an den Körper gelegt, der andere nach oben gestreckt,die Beine angewinkelt. Blond, etwas füllige Figur. »Gefunden heute Nacht um Viertel vor zwei im Grüneburgpark. Wer ist diese Erika Müller, und wer hat sie gefunden?«, fragte sie und steckte sich eine Zigarette an. Es gab Morde, die sie nur am Rande berührten, zum Beispiel, wenn irgendwelche Banden sich bekriegten und dabei jemand bei einer Schießerei oder Messerstecherei ums Leben kam. Und es gab welche, da schnürte sich ihr die Kehle zu. Da fühlte sie mit den Opfern, meinte zu spüren, was sie in der Zeit vor ihrem Tod durchgemacht hatten. Dies war wieder so ein Fall. Obgleich die Frau vollständig bekleidet war, wusste sie sofort, dass dies kein gewöhnlicher Mordfall war. Und irgendwie kam ihr das alles bekannt vor, nur vermochte sie im Augenblick keinen Zusammenhang mit einem anderen Mord zu erkennen.
»Hausfrau, verheiratet, zwei Kinder. Der Ehemann steht unter Schock, wir haben ihn bisher nicht vernehmen können. Ich denke aber, dass Sie trotzdem gleich mal zu ihm fahren sollten. Hier ist die Adresse. Ein junges Ehepaar hat sie gefunden, als sie mit dem Hund noch mal raus mussten, der dann auch die Witterung aufgenommen hat. Sie wurde von ihrem Mann am Samstagvormittag als vermisst gemeldet, nachdem sie am frühen Freitagabend das Haus verlassen hat, um sich mit ein paar Freundinnen zu treffen. Sie wollte angeblich spätestens um elf wieder zurück sein. Als sie nicht kam, ist er ins Bett gegangen, und als er am Morgen aufwachte, war sie noch immer nicht da. Dann ist er aufs sechzehnte Revier gefahren und hat die Vermisstenmeldung aufgegeben, was ich auch schon überprüft habe. Viel mehr haben wir bis jetzt nicht aus ihm herausbekommen können. Fahren Sie am besten gleich hin, und versuchen Sie was aus ihm rauszukriegen. Ach ja, ihre Handtasche fehlt. Das Einzige, was der Täter bei der Leiche gelassen hat, war ihr Personalausweis.«
»Was sagen unsere Leichenfledderer?«, fragte sie mit ruhiger Stimme, auch wenn es in ihr vibrierte.
»Ich warte noch auf den Befund. Ich denke, ich bekomme den Bericht im Laufe des Vormittags
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