Die Schatten schlafen nur
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». alles längst verschwunden, alles überwunden, und doch war da viel mehr.«
Toppe liebte den Song und ließ sich mit ihm treiben. Als Astrid ihm die Hand auf die Schulter legte, fuhr er heftig zusammen. »Ich hab dich gar nicht kommen hören.«
»Kein Wunder!« Sie lächelte, aber es sah ein wenig angestrengt aus.
Er stand auf und drehte die Musik leiser. »Ist sie endlich eingeschlafen?«
Eigentlich hatte er Katharina ins Bett bringen wollen, aber sie war quengelig gewesen und wollte »nur die Mama« bei sich haben.
Astrid kuschelte sich in den zweiten Ohrensessel, zog die Beine an und nickte müde. »Ich hab sie in mein Bett gelegt. Sie hat ein bisschen Temperatur. Wahrscheinlich schießen die Backenzähne ein.«
Toppe reichte ihr sein Rotweinglas und setzte sich wieder. Sie trank einen kleinen Schluck und schloss die Augen. »Und?«, fragte sie. »Was liegt dir auf der Seele?«
»Mir?« Er runzelte die Stirn. »Nichts! Wie kommst du darauf?«
»Wenn du so laut Rio Reiser hörst, dann ist meistens Melancholie angesagt.«
»Die ich ja hin und wieder ganz gerne habe. Das weißt du doch.« Er betrachtete sie zärtlich und ein bisschen besorgt, wie sie dasaß, immer noch mit geschlossenen Augen, und versuchte sich zu entspannen. Sie war so dünn geworden, seit sie wieder Vollzeit im Kommissariat arbeitete. Abends hetzte sie nach Hause, verabschiedete die Kinderfrau, um dann ganz für Katharina da zu sein. Er tat, was in seiner Macht stand, teilte sich mit ihr die Arbeit, so gut es ging. Was er ihr nicht abnehmen konnte, war das schlechte Gewissen, das sie wider alle Vernunft ihrer achtzehn Monate alten Tochter gegenüber hatte, das Gefühl, zu wenig Zeit für das Kind zu haben, eine schlechte Mutter zu sein. Ein Gefühl, über das sie nur selten sprach, das ihr aber sicher oft genug zu schaffen machte.
Toppe streckte die Hand aus. »Komm her.« Er wollte sie auf seinen Schoß ziehen, aber sie schüttelte den Kopf, stellte die Füße auf den Boden und nahm einen Stapel Briefe und Wurfsendungen von der Sessellehne.
»Die Post von den letzten drei Tagen. Ich geh sie eben durch. Holst du mir auch ein Glas Wein?«
Als er aus der Küche zurückkam, war alle Müdigkeit von Astrid abgefallen. Ihre Augen funkelten. »Guck dir das mal an!«
Es war die Telefonrechnung. Toppe blinzelte: 478,40 Mark! »Das gibt’s doch gar nicht! Die müssen sich vertan haben.«
»Leider nicht. Sieh dir doch mal die Einzelabrechnung an. Die meisten Gespräche waren vormittags. Da ist keiner von uns zu Hause.«
»Zeig mal her … Stimmt, 9:11 Uhr, über eine Stunde mit jemandem in Bayern, und dann hier, eine Stunde sechsundvierzig Minuten mit Krefeld um 9:30 Uhr.« Toppe sah auf. »Unsere neue Kinderfrau?«
»Wer sonst? Es kommt kein anderer in Frage. Ich hatte irgendwie die ganze Zeit so ein mieses Gefühl. Morgens um neun! Kannst du mir mal sagen, was die in der Zeit mit Katharina gemacht hat?«
Er seufzte. »Ich werde sie anrufen. Steht die Nummer in unserem Verzeichnis?«
Aber Astrid nahm ihm die Rechnung aus der Hand. »Lass mich das machen. Ich bin gerade so schön in Fahrt.« Damit war sie schon hinaus in die Halle gelaufen, wo das Telefon stand.
Toppe konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber er hörte, wie sie zuerst Gift und Galle spuckte und dann Eispfeile abschoss. Als es still wurde, seufzte er noch einmal und folgte ihr. »Das war also Nummer drei. Und dabei machte die Frau eigentlich einen netten Eindruck.«
Astrid stand da, die Hand immer noch auf dem Telefon. Sie war ganz blass.
Er nahm sie in die Arme. »Komm mit in die Küche. Ich mach uns was zu essen und du guckst dabei die Anzeigen in den Käseblättchen durch.«
Sie schaute zu ihm hoch. »Ach, Mensch, da kommt doch nichts bei rum. Was machen wir denn morgen und den Rest der Woche? Ich kann nicht alle vierzehn Tage Migräne vorschieben und deinen letzten Hexenschuss hat dir die Meinhard auch nicht abgekauft.«
»Wir mogeln uns schon irgendwie durch.« Er heuchelte Gelassenheit. »Bis halb zehn ist Gabi hier, danach schicke ich dich auf Außenermittlung. Und vielleicht kann Oliver den Nachmittag übernehmen.«
»Ach!« Astrid machte sich los. »Das funktioniert doch vorne und hinten nicht. Wir werden sie wieder mal zu meiner Mutter bringen müssen.«
Für sie war das der allerletzte Notnagel. Astrids Eltern, Klever Fabrikanten-Hochadel, hatten aus ihrem Unverständnis, was die Berufswahl ihres einzigen Kindes anging, nie einen Hehl gemacht.
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