Der Jäger
geträufelt wurde. Ihre Brustwarzen waren erigiert, Zunge und Zähne spielten mit ihnen, bis der furchtbarste Schmerz, den sie je erlebt hatte, sie fast ohnmächtig werden ließ. Dort, wo vor wenigen Sekunden noch ihre Brustwarzen waren, floss jetzt Blut aus zwei kleinen Wunden. Sie betete zu Gott, flehte, wimmerte, riss an den Handschellen. Sie spürte, wie Nadeln immer und immer wieder in ihren Körper gestochen wurden, und doch ebbte der große Schmerz allmählich ab.
Sie schwebte wieder, schloss erneut die Augen, Nadelstiche und ab und zu Schläge. Aber es machte ihr nichts mehr aus. Irgendwann, war es nach Minuten oder Stunden – sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren –, wurde ihr die Augenbinde abgenommen. Im schwachen Licht des Zimmers blickte sie in Augen, die sie voller Mitleid ansahen. Mitleid, aus dem innerhalb weniger Sekunden Kälte und schließlich glühender Hass wurden. Ohne die Bewegung zu gewahren, verspürte sie einen weiteren kräftigen Schlag gegen das Kinn, der ihr die Sinne nahm.
Als sie am nächsten Morgen oder Mittag wie betäubt in dem verdunkelten Zimmer erwachte, wusste sie nicht, wie spät es war und wo sie sich befand. Ihre Arme waren noch immer an das Bett gefesselt, das Klebeband machte das Sprechen unmöglich, das Atmen wurde zu einer Qual, weil sie unter einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung litt und die Schleimhäute angeschwollen waren. Sie fürchtete, ersticken zu müssen, wenn sie nicht bald Nasentropfen bekam.
Sie war allein in dem Raum. In ihren Eingeweiden rumorte es, ihre Brust war ein einziger Schmerz. Sie hatte in das Bett uriniert, sie hatte Hunger und Durst, ihre Zunge fühlte sich geschwollen an, ihr Hals war wie ausgetrocknet. Sie wusste, sie würde sterben, doch sie wusste nicht, wann und wie. Abereigentlich wollte sie sterben, wollte hinüber in das andere Leben. Lieber tot sein, als noch länger diese Qualen erleiden. Vor zwei Jahren wollte sie sich sogar schon einmal umbringen, hatte dann aber nicht den Mut dazu. Nun erledigte diese Aufgabe jemand anderes für sie. Jemand, den sie kaum kannte und zu dem sie von Anfang doch so viel Vertrauen gehabt hatte. Jemand, von dem sie nicht einmal in ihren schlimmsten Albträumen vermutet hätte, getötet zu werden. Jemand, den sie vor einem Jahr auf einer Party kennen gelernt hatte, zu der sie von einer etwas flippigen und reichen Bekannten mitgenommen worden war und wo sich alle nur mit Vornamen angeredet hatten. Wo sie allein hingegangen war, ohne ihren Mann, der geglaubt hatte, sie sei bei ihrem üblichen Freitagabendtreffen. Eigentlich hatte sie gar nicht mitgehen wollen, aber ihre Bekannte hatte darauf bestanden, hatte gemeint, es wäre endlich an der Zeit, sich aus der Abhängigkeit von einem schwachen Mann zu befreien und ein eigenes Leben zu führen. Es waren einige Leute dort, von denen sie in ihrem Leben nicht geglaubt hätte, ihnen jemals von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, Schauspieler und Schauspielerinnen, Sänger und Sängerinnen und andere Persönlichkeiten. Es war ein riesiges Fest, mit einem Büfett, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte, höchstens im Film. Es wurde gelacht und getrunken, und obgleich all die Prominenz zum Greifen nah war, hatte sie sich nicht getraut, auch bloß einen von ihnen anzusprechen. Sie hatte nur dagestanden, ein Glas Champagner in der Hand, und hatte das Treiben aus angemessener Distanz beobachtet. Schließlich wurde sie angesprochen und einigen Männern und Frauen vorgestellt. Angefangen hatte es mit Smalltalk, später am Abend verschob sich alles auf eine intimere Ebene, es wurde über Sex geredet, viele der Damen hatten sich abgesondert und verführerische Dessous gezeigt und gesagt, dies sei genau das, was Männer anmache. Allein der Anblick einiger dieser Dessous hatte ihr damals die Schamesröte ins Gesichtgetrieben und gleichzeitig einen ihr bis dahin unbekannten Trieb geweckt.
An diesem Abend hatten sie sich zum ersten Mal gesehen, und sie war fasziniert gewesen von dieser Person, die so selbstsicher und so einfühlsam gewesen war. Sie hatten sich über Gott und die Welt unterhalten, über Astrologie und andere esoterische Dinge, sie hatte sich eine Adresse geben und schon ein paar Tage später ein Horoskop erstellen lassen. Sie hatte zweihundertfünfzig Mark dafür bezahlt, aber es hatte sich gelohnt. Zum ersten Mal wusste sie, wer sie war, und vor allem wie sie war. Vor einigen Jahren hatte ihr einmal eine Zigeunerin, die ihr unbedingt
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