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Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka Ehrbar
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unterwegs zu sein: mit mir und meinen Gedanken.
    Der Regen stimmt mich nicht verdrießlich.
    Ich schenke meine Aufmerksamkeit den Sträuchern, die am Wegrand blühen und mir wie lodernde Flammen Vorkommen, und spüre, wie ich mich von Kilometer zu Kilometer besser fühle.
    Es stört mich kaum, dass aus dem Weg nach Foncebadón ein schlammiger Bach geworden ist, der Regen nahezu wie ein Wasserfall vom Himmel herunterklatscht und allmählich in Schnee übergeht. Die Passhöhe, auf der vor ein paar Tagen noch das Heidekraut geblüht hat, ist inzwischen dick eingeschneit. Auch Tila scheint sich wohl zu fühlen, denn sie springt wie eine Verrückte herum und ist kaum zu bändigen.
    Kurz darauf erreichen wir das ,Cruz de Ferro’.
    Aus einem gewaltigen Steinhügel ragt ein Eichenstamm, auf dessen Spitze das Eisenkreuz thront, in den Himmel.
    Die meisten Santiago-Pilger folgen einer alten Tradition und fügen dem Hügel einen Stein aus ihrer Heimat hinzu. Für mich ist es ein feierlicher Moment, als ich meinen Stein, den ich aus Erlenbach mitgebracht habe, zu den anderen werfe.
    Wehmütig denke ich an zu Hause, an den Zürichsee, und dabei überkommt mich ein zwiespältiges Gefühl.
    Ich frage mich: Was ist Heimat? Einerseits bin ich aufgebrochen, um in die ,weite Welt’ zu ziehen, etwas Neues kennen und verstehen zu lernen. Anderseits empfinde ich es als schmerzlichen Verlust, nicht an dem Ort geblieben zu sein, wo meine Wurzeln sind, wo ich als Kind gelacht habe und meine Eltern heute noch leben. Denn dort ist alles, was mir lieb und wert ist.
    Ist Heimat das Stückchen Erde, wo ich jeden Baum und jeden Strauch kenne? Ist es das Wohl-Bekannte, Vertraute? Oder sind es die Menschen, die tagtäglich um mich sind, mein Partner oder meine Freunde?
    Wahrscheinlich alles zusammen.
    Ich habe vor einiger Zeit eine neue Heimat gewählt und rasch gemerkt, wie sehr ich mich Erlenbach, diesem kleinen Dorf am Zürichsee verbunden fühle. Ich liebe unseren Garten, die Bäume und die Berge, die hinter der Meilener Kirche im Morgenlicht aufblitzen. Das alles ist mir lieb und wichtig.
    Aber was wäre, wenn es Walti nicht geben würde? Er vermittelt mir die Nähe und die Ruhe, die es mir ermöglichen, all diese schönen Dinge um mich herum wahrzunehmen und damit zu meinem Zuhause, meiner Heimat werden lassen. Auch Waltis Mutter, die mich vom ersten Augenblick an in ihr Herz geschlossen hat, gehört dazu.
    Letztlich sind es die Menschen in Erlenbach, die mich glücklich machen. Sobald wir uns miteinander unterhalten, empfinde ich so intensiv, dass meine Haut anfängt zu prickeln. All das ist Heimat für mich. All das ist wichtig in meinem Leben und hilft mir über die Augenblicke hinweg, in denen ich mich allein und nahezu ausgestoßen fühle, weil ich nicht akzeptiert werde, aus welchen Gründen auch immer.
    Darüber hinaus verkörpert meine Tochter Alexandra Heimat für mich. Ich bin glücklich, dass es sie gibt, dass sie ein Stück von mir ist. Zugleich bin ich sehr stolz auf sie, wie sie ihre Arbeit und letztlich ihr Leben meistert. Es wäre schön, mit ihr hier an diesem Ort zu sitzen und zu erfahren, wie sie empfindet.
    Meine Überlegungen werden jäh unterbrochen, da nach und nach mehrere Radfahrer eintrudeln. Der Leiter der Gruppe weiß viel über den Jakobsweg zu erzählen, aber nichts Neues.
    Nachdem mehrmals die Fotoapparate geklickt haben, fahren sie winkend und lachend im Trupp davon.
     
    Leise rieselt der Schnee... auf die Ruinen von Manjarín. Außer Tomás lebt niemand mehr in diesem Dorf. Vor seinem Haus gackern ein paar Hühner, ansonsten herrscht Totenstille. Bei einer Tasse Tee erzählt Tomás, wie er vor vielen Jahren als Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela hier vorbeikam. Spontan entschloss er sich in Manjarín zu bleiben und fortan ein Leben als Einsiedler zu führen. Einfach so. Und hier will er in Frieden sterben.
    Nachdem ich den höchsten Punkt des Tages von 1.517 Metern hinter mir habe, wehen mir Regenschauer ins Gesicht. Mein Rücken ist starr vor Kälte und Nässe, als ich am späten Nachmittag nach El Acebo gelange.
    Die Tür zur Herberge steht offen. Mein Nachtquartier ist zwar gesichert, aber es ist kalt und ungemütlich.
    Gerade als ich mich damit abgefunden habe, klopft es und in der Tür steht eine vielköpfige Familie.
    Die Señora versucht mir klarzumachen, dass ich mir in dieser Hütte und bei dieser Temperatur eine Lungenentzündung einhandeln würde. Ohne zu widersprechen, lasse ich mich

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