Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jakobsweg

Der Jakobsweg

Titel: Der Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka Ehrbar
Vom Netzwerk:
Ruhe und Einsamkeit gewöhnt, kommt mir die Strecke Richtung León wie eine Strafe vor. Nach wenigen Kilometern halte ich es nicht mehr aus und entscheide mich für Autostopp.
    Ich staune, als einer der Lastwagen gleich anhält. Der Fahrer hilft Tila und mir in die Kabine und erzählt, dass er nach Santiago de Compostela fährt. Sein Angebot, mich bis dorthin mitzunehmen, lehne ich dankend ab.
    „Señora, Sie könnten bereits vor Einbruch der Nacht in Santiago sein“, wendet er ein, als ich an der Stadtgrenze von León dann tatsächlich aussteige. Offensichtlich hält er mich für verrückt, denn er schüttelt den Kopf.
    Nach meiner Berechnung werde ich noch etwa eine Woche brauchen, um Santiago zu erreichen. Ich habe Zeit - wie gut sich das anhört - viel Zeit, mich in Ruhe umzuschauen und dann anzukommen.
    Auf direktem Weg gehen wir zur Kathedrale von Leon, deren Glasfenster aus dem 13. bis 17. Jahrhundert stammen. Um diesem beklemmenden Gefühl zu entgehen, das mich meistens im Innern einer Kirche umfängt, bleibe ich draußen auf dem Kirchplatz sitzen. Ich zähle drei Storchenfamilien, die offenbar im Kirchturm ihre Nester gebaut haben.
    Nach dieser kurzen Rast orientiere ich mich an den goldenen Jakobsmuscheln, die mich zum ehemaligen Kloster San Marcos führen. Heute wird diese monumentale Anlage aus dem 16. Jahrhundert als Parador genutzt. Die Verzierungen und Ornamente auf der etwa einhundert Meter langen Fassade beeindrucken mich.
    Während ich aus dem Staunen kaum herauskomme, erinnere ich, dass Christobal, eine der beiden Australierinnen, am 1. Mai mit ihren Freunden hier ihren Geburtstag feiern möchte. Ich schreibe einen Geburtstagsgruß und gebe den Brief an der Rezeption ab.
    Ob sie ihn wohl erhält?
    Gegen Mittag stürzen wir uns wieder in den Verkehr und wandern bis Hospital de Órbigo; immer der Straße entlang, die einer Autobahn ähnelt. Ich nehme das Laufen über den Asphalt ruhig an, denn es gehört ebenso zu meinem Weg wie alles andere auch.
    Nachdem wir am späten Nachmittag eine prächtige Brücke überquert haben, liegt die Ortschaft Órbigo vor uns. Die Pilger, die hier übernachten wollen, müssen sich den Schlüssel zur Herberge in der Dorfgaststätte abholen. Also nichts wie hin.
    Doch die Schlüssel sind weg. Der Wirt führt mich zu einem Tisch, an dem zwei Pilger aus der Schweiz sitzen, Margret und Ruedi.
    Nachdem ich Platz genommen habe, trinken wir Kaffee und tauschen Erfahrungen aus. Da die beiden gegen Tila nichts einzuwenden haben, dürfen wir in der Pilgerherberge übernachten.
    Nachdem wir beschlossen haben, am Abend gemeinsam zu kochen, sehen wir uns zuerst den Ort an, kaufen ein und suchen dann verzweifelt einen Bäckerladen. Es dauert eine ganze Weile, bis ich zufällig hinter einer offenen Tür eine Brotknetmaschine entdecke. Das Brot ist frisch und schmeckt köstlich, wie wir später feststellen.
    Während wir über Gott und die Welt, die Schweiz und unser gemeinsames Ziel reden, treffen weitere Pilger ein: vier Franzosen und zwei Spanier.
    Einer der Franzosen überrascht mich. Zunächst bestellt er mir viele Grüße von meinem netten LKW-Fahrer und überreicht mir ein Papier, das ich noch gar nicht vermisst habe: eine Seite aus meinem Reiseführer.
    Ich staune und erfahre dann, dass der Fahrer auf den nächsten Pilger wartete, weil er meinte, ich würde diese Seite dringend benötigen.
    Ist das nicht großartig? Immer wieder erfahre ich Gutes. Verschmitzt lächelnd fügt der Franzose hinzu: „Aber vielleicht hat er ja nur gewartet, weil er befürchtete, Sie würden sich ohne diesen Plan verlaufen.˝
     

16. Wandertag: Órbigo – Santa Catalina – 25 km
     
    Mannomann, mir bleibt aber auch nichts erspart. Jetzt muss ich Inka doch tatsächlich aus den Klauen eines Ungeheuers befreien. Vermutlich ein Drache oder ein Lindwurm, jedenfalls ein Scheusal.
    Wie wir in diese dunkle Höhle geraten sind? Woher soll ich das wissen? Ist ja auch egal. Da sich dieses Untier über Inka beugt, schrillen bei mir sämtliche Alarmglocken. Das kann ich nicht zulassen. Ich setze zum Sprung an, will ihm an die Kehle... doch in diesem Moment wird es hell, irrsinnig hell. Ich stehe wie gelähmt und blinzle mehrmals. Ich fass’ es nicht. Dieses Monster ist gar kein Monster, es ist Ruedi. Er weckt Inka. Na, da hat er gerade noch mal Glück gehabt. Ich rolle mich schnell wieder ein und träume weiter.
    Erfreulicherweise artet es nicht zum Albtraum aus, als wir dann zu viert losmarschieren.

Weitere Kostenlose Bücher