Der Janson-Befehl
Eine Gruppe extremer kroatischer Nationalisten unterstützte sie: Sie fürchteten die reformerischen Tendenzen des Papstes und suchten nach einer Chance, die verräterischen Minderheiten auszurotten, die sich in ihrer Mitte eingenistet hatten. Nach einer so gewaltigen Provokation - und man konnte sich keine größere Provokation als den Mord an einem von allen geliebten Papst vorstellen - würde sich ihnen niemand mehr in den Weg stellen. Selbst ganz gewöhnliche Bürger würden zu einer blutigen Reinigung Kroatiens bereit sein.
Wie alle Extremisten waren sie natürlich nicht imstande, sich über die unmittelbare Verwirklichung ihrer Ziele hinaus eine Vorstellung von den Konsequenzen ihres Handelns zu machen. Die mörderische Tat der Serben würde zehntausendfach mit dem Blut von Serben bezahlt werden. Und diese Massaker würden unausweichlich die serbische Regierung zu Interventionen veranlassen: Dubrovnik und andere kroatische Städte würden erneut von den serbischen Streitkräften beschossen werden, und das musste Kroatien dazu zwingen, seinerseits Serbien den Krieg zu erklären. Wieder würde in diesem am wenigsten stabilen Winkel Europas eine Feuersbrunst aufflammen -würde die benachbarten Länder in Verbündete und Gegner spalten, und niemand konnte sagen, was am Ende dabei herauskommen würde. Schon einmal hatte ein Mord auf dem Balkan einen Weltkrieg entfacht, und es konnte wieder geschehen.
Eine sanfte Brise wehte durch die mittelalterlichen Gebäude der Altstadt Dubrovniks, als ein unauffällig wirkender Mann mit kurzem grauem Haar - niemand würde ihn eines zweiten Blickes würdigen - die Bozardar-Filipovic-Straße hinunterschritt. »Vier Grad vom Median«, sagte er leise. »Der Wohnblock in der Straßenmitte. Oberstes Stockwerk. Sichtung?«
Die Frau veränderte ihre Position leicht und stellte ihr Swarowski-12x50-Zielfernrohr ein; der wartende Mann mit dem Gewehr füllte das Sichtfeld ihres Okulars. Das narbige Gesicht war in ihren Fahndungsunterlagen abgebildet: Milic Pavlovic. Keiner der serbischen Fanatiker aus Dubrovnik, sondern ein erfahrener und äußerst geschickter Auftragskiller, der sich deren Vertrauen erworben hatte.
Die Terroristen hatten ihren besten Mann geschickt.
Aber das hatte auch der Vatikan, der den Meuchelmörder eliminieren wollte, ohne dass die Welt davon erfuhr.
Für Janson und Jessie Kincaid war Personensicherheit auf höchstem Niveau nur formal eine neue Tätigkeit. So betrachtet war es auch nur formal ein Geschäft: Jessica hatte Janson darauf hingewiesen, dass er die Millionen auf seinem Konto auf den Cayman-Inseln behalten durfte -wenn er sie sich nicht verdient hatte, wer dann? Aber wie Janson gesagt hatte, sie waren zu jung, um schon in den Ruhe stand zu treten. Er hatte das versucht - hatte versucht, vor dem zu fliehen, was er war. Doch das war nicht die Lösung für ihn, für ihn nicht und für Jessica nicht; das wusste er jetzt. Wogegen er sich auflehnte, war die Heuchelei - die Hybris der Planer. Aber was auch immer geschah, sie waren beide nicht für eine friedliche Existenz geschaffen. »Das Thema Kleine-Insel-in-der-Karibik habe ich hinter mir«, hatte Janson ihr erklärt. »Das wird einem schnell langweilig.«
Das wohlgefüllte Konto bedeutete einfach, dass die beiden Partner in der Wahl ihrer Klienten wählerisch und im Einsatz von Spesen großzügig sein konnten.
Jetzt sprach Jessie leise, sich dessen bewusst, dass das Fadenmikrofon ihre Worte klar und deutlich zu Jansons Ohr tragen würde. »Verdammter Kevlar-Panzer«, sagte sie und streckte sich unter dem kugelsicheren Gewebe. Sie fand das Zeug immer unangenehm heiß und protestierte häufig, wenn ihr Partner hartnäckig darauf bestand, dass sie es trug. »Mal ganz ehrlich - meinst du, ich sehe damit dick aus?«
»Du bildest dir wohl ein, dass ich eine solche Frage beantworte, während du den Finger am Abzug hast?«
Der Kolben der Waffe lag wie angeschweißt an ihrer Wange - Punktschweißung hieß das im Jargon ihres Gewerbes -, als der narbengesichtige Meuchelmörder sein Zweibein aufbaute und ein Magazin in das langläufige Gewehr schob.
Der Papst würde in wenigen Minuten ankommen.
Wieder Jansons Stimme an ihrem Ohr. »Alles okay?«
»Wie ein Uhrwerk, Liebster«, sagte sie.
»Dass du mir ja vorsichtig bist. Denk daran, sein Ersatzmann sitzt in dem Lagerschuppen am Standort B. Wenn die Wind von dir bekommen, bist du in seiner Reichweite.«
»Alles im Griff«, sagte sie, erfüllt von der tiefen
Weitere Kostenlose Bücher