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Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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geheißen«, sagte ich.
    Er blickte wieder zu mir. Bekam große Augen. Jetzt wusste er, wen er vor sich hatte. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Er wurde kreidebleich und gleich darauf rot vor Zorn. Die beiden Narben auf seiner Stirn wechselten ebenfalls die Farbe. Ich überlegte, ob ich genau zwischen sie zielen sollte. Das wäre ein schwieriger Schuss gewesen.
    »Wir sind hier alle bewaffnet«, klärte er mich auf. Es klang, als wäre seine Kehle trocken.
    Die drei Araber starrten mich an. In ihren Pomadefrisuren klebte Gipsstaub.
    »Dann sagen Sie ihnen, dass sie ihre Waffen stecken lassen und ihre Hände so halten sollen, dass ich sie sehen kann. Es braucht nicht mehr als einen Toten zu geben.«
    Die Leute wichen kaum merklich vor mir zurück. Auf dem Tisch lag eine Staubschicht. Ein Stück Deckenputz hatte ein Weinglas zertrümmert. Ich bewegte mich mit der Gruppe, drängte sie in eine bestimmte Richtung und veränderte ihre Geometrie, um die Verbrecher an einem Ende des Raums zusammenzutreiben. Gleichzeitig bemühte ich mich, Elizabeth, Richard und die Köchin allein durch Körpersprache ans andere Ende zu drängen. Ans Fenster, wo sie sicher waren. Ich bewegte mich mit nach vorn geschobener Schulter, und obwohl der Tisch zwischen mir und den meisten Anwesenden stand, gingen sie dorthin, wo ich sie haben wollte. Die kleine Versammlung teilte sich bereitwillig in zwei Gruppen zu acht und drei Personen auf.
    »Jetzt sollten alle von Mr. Xavier wegtreten«, befahl ich.
    Das taten außer Beck alle. Beck blieb weiter an seiner Seite. Ich starrte ihn verblüfft an. Dann merkte ich, dass Quinn ihn unmittelbar über dem Ellbogen am Arm gepackt hielt. Daran zog und zerrte, um Beck als menschlichen Schutzschild zu benutzen.
    »Diese Geschosse haben einen Zoll Durchmesser«, erklärte ich ihm. »So lange ich einen Zoll von Ihnen sehen kann, ist Ihr Versuch aussichtslos.«
    Er gab keine Antwort, zerrte einfach weiter. Beck setzte sich dagegen zur Wehr. In seinem Blick lag Angst. Dies war ein Kräftemessen im Zeitlupentempo. Aber ich erkannte, dass Quinn Sieger bleiben würde. Er zog Beck halb vor sich. Dessen linke Schulter verdeckte Quinns rechte. Beide zitterten vor Anstrengung. Obwohl die Persuader statt einer Schulterstütze einen Pistolengriff hatte, legte ich sie wie ein Gewehr an und zielte sorgfältig den Lauf entlang.
    »Ich kann Sie noch immer sehen«, verkündete ich.
    »Nicht schießen«, sagte Richard Beck hinter mir.
    Etwas in seiner Stimme.
    Ich drehte nur kurz den Kopf zur Seite. Eine blitzschnelle Bewegung. Er hielt eine Beretta in der Hand. Sie war mit der Waffe in meiner Tasche identisch und zielte auf meinen Kopf. Im Licht der Deckenbeleuchtung war mir der seitlich eingravierte elegante Namenszug aufgefallen. Pietro Beretta . Ich hatte den kleinen roten Punkt gesehen, der nur sichtbar wurde, wenn die Waffe entsichert war.
    »Steck sie weg, Richard«, befahl ich.
    »Nicht, solange mein Vater dort ist«, erwiderte er.
    »Lassen Sie ihn los, Quinn«, sagte ich.
    »Nicht schießen, Reacher«, sagte Richard. »Sonst erschieße ich Sie.«
    Unterdessen hatte Quinn Beck fast ganz vor sich gezogen.
    »Nicht schießen«, wiederholte Richard.
    »Weg mit der Pistole, Richard«, sagte ich.
    »Nein.«
    »Weg damit!«
    »Nein.«
    Ich horchte aufmerksam auf seine Stimme. Er machte keine Bewegung, stand still. Ich wusste genau, wo er war, und kannte den Winkel, in dem ich mich drehen musste. Ich spielte den Ablauf in Gedanken durch. Herumwerfen. Schießen. Pumpen. Herumwerfen. Schießen. Ich konnte beide innerhalb von eineinviertel Sekunden erledigen. Viel zu schnell, als dass Quinn hätte reagieren können. Ich holte tief Luft.
    Dann sah ich Richard vor meinem inneren Auge. Das strähnige Haar, das fehlende Ohr. Die langen Finger. Ich stellte mir vor, wie das riesige Brenneke-Geschoss den schmächtigen Körper zerfetzen würde. Das brachte ich nicht über mich.
    »Weg damit, Richard«, sagte ich.
    »Nein.«
    »Bitte.«
    »Nein.«
    »Damit hilfst du ihnen.«
    »Ich helfe meinem Dad.«
    »Deinem Dad passiert nichts.«
    »Das kann ich nicht riskieren. Er ist mein Dad.«
    »Elizabeth, sagen Sie’s ihm.«
    »Nein«, sagte sie. »Er ist mein Mann.«
    Patt. In Wirklichkeit war dies schlimmer als eine Pattsituation. Auf Richard konnte ich nicht schießen. Weil ich’s nicht über mich brachte. Deshalb konnte ich auch nicht auf Quinn schießen. Und ich durfte nicht sagen, dass ich nicht auf Quinn schießen würde, weil

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