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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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befestigt, aber so solide, wie ich es mir wünschte, würde es nie sein.
     Die kalte Luft schlug mir so hart entgegen wie vorhin die heiße, als ich Dr. Gabors Praxis verlassen hatte. Ich hatte eine Klimaanlage im Wohnzimmer und eine zweite in unserem Schlafzimmer installiert. Ich drückte die Tür hinter mir zu und öffnete den Mund, dann erinnerte ich mich an meine Stimme und schloß ihn wieder. Doch weil ich mich nicht zurückhalten konnte, formte ich mit den Lippen die Worte: »Ich bin zu Hause.«
      Home. Das ist eines meiner englischen Lieblingswörter. Das runde, volle O, das angenehme M. Es ist ein solideres Wort als das glatte house, besser als das zweideutige safe, was ohnehin ein Märchen ist. Der einzige Safe, dem ich vertraue, ist der, den ich mit eigenen Händen hinter dem Wäscheschrank eingebaut habe, als wir in das Haus einzogen. Home ist etwas anderes, ein Wort mit einer anderen Farbe.
     Ich ging durch das Wohnzimmer. Der Laufstall mitten im Raum nahm viel Platz ein, aber es war noch genügend übrig. Das Zimmer war größer als seine Gegenstücke in Pineview oder in Devon oder in irgendeiner Siedlung in der Nachbarschaft. Das war meine Idee gewesen. Harry nennt es noch immer meine Erfindung, obwohl das Konzept so einfach war, daß ich nicht verstand, warum keiner vor mir auf die Idee gekommen war.
     Ich durchquerte den Raum. Der aschgraue Bildschirm des Fernsehapparats warf mein Spiegelbild zurück. Ein großer Mann mit kurzen Haaren, der an einem Finger ein leichtes Leinenjackett über der Schulter hängen ließ, ein Ehemann, ein Vater, ein Geschäftsmann, ein Amerikaner. Ich ging die Rollen der Reihe nach durch, wie ein anderer seine Taschen abklopft, um sicherzugehen, daß er seine Brieftasche, seine Schlüssel und das Feuerzeug bei sich hat, falls er raucht, was ich nicht tat. Ich stieg die fünf Stufen zur Küche hinauf. Eine Ausgabe von The Joy of Cooking mit Flecken und Zutaten von Hunderten von Abendessen lag offen auf der Anrichte. Der Hochstuhl in der Ecke war mit den durchgesiebten und pürierten Spuren eines Kampfs verschmiert. An einem Ende des Resopaltisches waren Makkaroni und Käse auf einem Teller erstarrt. Es mußte ein schwieriges Abendessen gewesen sein. Normalerweise wirft meine Frau die Essensreste der Kinder in den Mülleimer, bevor ich nach Hause komme. Vielleicht lag es an diesem Anblick, vielleicht auch an Dr. Gabor, doch plötzlich fühlte ich mich ins Marseilles zurückversetzt. Nie, noch nicht einmal vor dem Krieg, hatte ich so viel Essen gesehen. Töpfe mit Suppen und Tröge voller Salat, Warmhalteplatten mit Fleisch und Fisch und Huhn und Gemüse und mehrstöckige Türme von Kuchenplatten voller zitternder, edelsteinfarbener Torten und Cremeschnitten. Es gab so viel zu essen, wie man wollte, so viel, daß ich mir fast vorstellen konnte, es würde eines Tages reichen. In der kurzen Zeit, die ich im Marseilles verbracht hatte, wurde ich zu einer Legende. »Da kommt er, unser Esser«, sagten die dunkel gekleideten, hühnerbrüstigen Freiwilligen zueinander, wenn ich mit meinem Metalltablett die Reihe entlangkam. Auf der anderen Seite der Warmhalteplatten verzogen sich ihre schweißroten Gesichter zu einem menschenfresserartigen Grinsen, während sie um die Wette meinen Teller füllten. Und ich ließ sie gewähren. Ich tat ihnen eigentlich einen Gefallen.
     Ich nahm das halbvolle Milchglas meiner Tochter und trank es aus. Sogar meine Bitte am ersten Abend im Marseilles hatte meinen Ruf nicht verhindert. »Ein Glas Milch will er, mit Fleisch.« Sie schüttelten die Köpfe und schnalzten spöttisch erschrocken mit den Zungen. »Weißt du denn gar nichts?« Eine kleine Frau mit spärlichem weißem Haar, die hinter mir in der Reihe stand, sprach es aus. »Er ißt Milch mit Fleisch. Er ist treife.« Sie hob ihre wäßrigen Augen zur Decke und schüttelte eine kindlich kleine Faust zum Himmel. Die Nummer auf ihrem Arm wurde von der Deckenlampe beleuchtet. »Tut ihm etwas. Ihr habt noch nicht genug getan. Tut ihm etwas dafür.« Die Frauen hinter den Essenströgen senkten den Blick. Dann öffnete die winzige wütende Frau die Faust und trug ihr Tablett zu einem der Tische, als hätte sie nie etwas gesagt.
     Ich brachte das Glas meiner Tochter und ihren Teller zum Ausguß und schaute aus dem Fenster, während ich Wasser hineinlaufen ließ. Die Mimosenbäume, die ich vor einem Jahr gepflanzt hatte, gediehen. Meine Frau hatte einen Kastanienbaum gewollt, aber irgend etwas in

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