Der Junge, der Anne Frank liebte
außergewöhnlich.
»Erzähl mir von dem Arzt«, sagte meine Frau.
Ich räumte das Geschirr vom Abendessen zur Spüle, während sie sich der üblichen Routine hingab. Abwischen, abspülen, bücken, abwischen, abspülen, bücken. Sie hielt die Teller unter fließendes Wasser, bevor sie sie in die Spülmaschine räumte, genau wie es die anderen Frauen in diesen sanft geschlängelten Straßen taten. Normalerweise necke ich sie damit, wie alle Ehemänner ihre Frauen necken, und die Normalität dieses Schlagabtauschs macht mir immer Spaß, aber an diesem Abend neckte ich sie nicht, weil ich wußte, wie viel es sie gekostet hatte, so lange zu warten, bis sie sich nach Dr. Gabor erkundigte.
Am Morgen hatte sie mir versichert, daß sie die Vertraulichkeit einer therapeutischen Beziehung achte. Meine Frau hatte am Barnard College einige Kurse in Psychologie belegt, obwohl sie es, anders als ihre Schwester, nicht im Hauptfach studierte. Aber sie hatte genug gelernt, um sich Sorgen zu machen. Sie hatte Angst vor dem, was der Doktor vielleicht herausfinden würde, und vor dem, was ich, seiner Anweisung nach, auf irgendwelche Fehler bei ihr zurückführen würde. Deshalb konnte sie nicht anders, sie mußte mich nach ihm fragen, trotz ihrer Achtung für die therapeutische Beziehung und trotz der Tatsache, daß sie es sich durch die Heirat mit mir abgewöhnt hatte, zu genau nachzufragen.
»Er hat eine Menge Fragen gestellt.«
»Worüber?«
»Über alles. Mich. Dich.«
Sie drehte sich um und sah mich an. Sie hatte sich das Gesicht gewaschen und die Haare gekämmt, aber keinerlei Make-up aufgelegt. Ihre Haut war braun von den Nachmittagen, die sie mit den Kindern im Garten verbracht hatte. Ihre langgeschnittenen Augen, braungefleckt mit grünen Glitzern und zuviel Selbstvertrauen, verengten sich besorgt. »Was wollte er über mich wissen?«
»Du mußt nicht flüstern«, sagte ich. »Du hast deine Stimme nicht verloren.«
Sie drehte sich wieder zur Spülmaschine.
Ich hatte den gereizten Ton nicht beabsichtigt, aber ich wollte nicht über Dr. Gabor sprechen. Es war fast so schlimm wie die Unterhaltung direkt mit ihm. Fünfzehn Dollar für eine Stunde, um zu diskutieren, welche Bücher meine Frau las.
»Er wollte auch etwas über meine Familie wissen. Über früher.«
Sie stand noch immer mit dem Rücken zu mir. Das waren die Fragen, die sie stellte. »Erzähl mir davon«, hatte sie mich am Anfang gefragt, »ich möchte es wissen.«
Ich wollte nicht, daß sie es wußte, doch das war ein weiterer Punkt, den ich nicht aussprach.
»Und über Sex.«
»Das habe ich mir gedacht.« Sie drehte sich wieder zu mir um, und ihre lange Oberlippe wurde länger, während sie die Zähne auf die Unterlippe preßte. Sie mißtraute ihrem Mangel an Erfahrung. Ich hatte ihr nie gesagt, wie dankbar ich dafür gewesen war.
»Ich habe ihm erklärt, was immer mit meiner Stimme nicht in Ordnung sein mag, damit hat es nichts zu tun.«
»Was glaubt er, womit es zu tun hat?«
»Er hat keine Ahnung. Deshalb hat er mir doch all diese Fragen gestellt. Er wollte sogar wissen, was du liest.«
Ich hatte nicht beabsichtigt, damit herauszurücken, obwohl ich unfähig gewesen war, nicht am Nachttisch auf ihrer Seite des Bettes innezuhalten, als ich vor dem Abendessen oben war. Aber ich hatte meine Stimme schon vor Wochen verloren. Seither hatte sie bestimmt ein halbes Dutzend Bücher gelesen. Nun lag Der Anwalt des Teufels von Taylor Caldwell auf dem Nachttisch.
»Was für eine seltsame Frage.«
»Er hat die Netze ausgeworfen. Er hat keine Ahnung, was er finden will.«
»Er will wissen, woran du dich erinnerst. Es ist freies Assoziieren.«
Wie ich schon sagte, sie hatte ein paar Kurse belegt.
»Aber ich kann mich nicht erinnern.«
Das war keine Lüge. Es gibt Dinge, die hätte ich ihr erzählen können, zog aber vor, es nicht zu tun. Bei anderen Dingen bin ich mir allerdings nicht sicher. Ich habe keine Probleme mit der jüngsten Vergangenheit. Nie vergesse ich ihren Geburtstag oder unseren Hochzeitstag oder den Moment, an dem ich wußte, daß ich sie heiraten würde, ein Moment, von dem sie behauptet, daß er fast ein Jahr später lag als der Tag, an dem sie beschlossen hatte, mich zu heiraten. Ich kann mich an das Geburtsgewicht meiner Töchter erinnern und an die Tage, an denen ich sie und meine Frau aus dem Krankenhaus nach Hause holte, und an die erste Nacht, die ich an Abigails Bettchen
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