Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
nebenbei als Gärtner arbeitete, ihn in Villeperce aufgesucht hatte. Die Nummer mit den Fummeln in Berlin brachte Reeves zum Lachen; er wollte alles ganz genau wissen. Dann schien ihm ein Licht aufzugehen, und er sagte:
»Aha, das Foto aus Berlin… War heute in der Zeitung. Lübars, das weiß ich noch.« Reeves sprang auf, suchte nach der Zeitung und fand sie auf einem Bücherregal.
»Das ist es«, sagte Tom. »Hab’s in Berlin gesehen.« Für einen Moment wurde ihm übel, und er stellte das Weinglas ab. »Der Italiener, ich erwähnte ihn.« Reeves hatte er erzählt, er habe den Mann nur bewußtlos geschlagen.
»Hat Sie niemand gesehen? Auch hinterher nicht? Sind Sie da sicher?«
»Ja. Warten wir morgen die Nachrichten ab, okay?«
»Weiß der Junge Bescheid?«
»Nicht von mir. Bitte sagen Sie ihm nichts über Lübars. – Reeves, alter Junge, kann ich einen Kaffee bekommen?«
Tom kam mit in die Küche, denn er wollte nicht allein herumsitzen. Der Gedanke, einen Mann getötet zu haben, war nicht gerade angenehm, auch wenn der Italiener nicht der erste war. Er merkte, wie Reeves ihn kurz ansah. Eines hatte er ihm verschwiegen und würde es auch nicht sagen, nämlich daß Frank seinen Vater umgebracht hatte. Doch etwas anderes beruhigte ihn: Obwohl Reeves über den Tod von Pierson senior in der Zeitung gelesen hatte, auch über die bislang offene Frage Selbstmord oder Unfall, hatte er Tom nicht gefragt, ob jemand Mr. Pierson von der Klippe gestoßen und ermordet haben könnte.
»Warum ist der Junge weggelaufen?« fragte Reeves. »War er verstört nach dem Tod seines Vaters? Oder ging es vielleicht um das Mädchen? Teresa heißt sie, nicht?«
»Nein, ich glaube, mit Teresa war alles in Ordnung, als er weglief. Er hat ihr aus Belle Ombre geschrieben. Erst gestern hat er erfahren, daß sie einen neuen Freund hat.«
Reeves lachte leise, wie ein guter Onkel. »Die Welt ist voll von jungen Dingern, sogar von hübschen. Jedenfalls in Hamburg! Wollen wir ihn nicht auf andere Gedanken bringen – ein Nachtclub, Sie verstehen?«
Tom bemerkte so beiläufig wie möglich: »Er ist erst sechzehn. Hat ihn ziemlich hart getroffen. Der Bruder ist dickfelliger, sonst hätte er das nicht einfach so hinausposaunt. Jedenfalls nicht jetzt.«
»Werden Sie den Bruder treffen? Und den Detektiv? Was meinen Sie?« Bei dem Wort »Detektiv« lachte Reeves, wie er wohl über jeden lachte, dessen Arbeit darin bestand, die Verbrecher dieser Welt zu jagen.
»Hoffentlich nicht«, sagte Tom. »Kann aber sein, daß ich ihnen den Jungen persönlich übergeben muß, weil er gar keine Lust hat, nach Hause zurückzukehren.« Er stand mit dem Kaffee in der Küche. »Ich werde müde, trotz Ihres ausgezeichneten Kaffees. Trinke noch eine Tasse.«
»Können Sie dann noch schlafen?« fragte Reeves rauh, doch besorgt wie eine Mutter oder Krankenschwester.
»In meinem Zustand kein Problem. Morgen zeige ich dem Jungen etwas von Hamburg. Eine Bootsfahrt auf der Alster. Ich will ihn aufmuntern. Können wir uns zum Lunch treffen, Reeves?«
»Danke, Tom, aber morgen habe ich einen Termin. Ich kann Ihnen einen Schlüssel geben. Das mache ich lieber gleich.«
Tom nahm die Tasse aus der Küche mit. »Wie gehen die Geschäfte?« Er meinte Minots Hehlerei und das bißchen Talentsuche unter deutschen Malern sowie den kleinen Kunsthandel, den er betrieb – letztere Aktivitäten waren Reeves’ legitime Fassade, wenn nicht mehr.
»Ach…« Reeves drückte ihm einen Schlüsselbund in die Hand und warf einen Blick auf die Wände des Wohnzimmers: »Dieser Hockney ist sozusagen eine Leihgabe. Genauer gesagt, er ist gestohlen. Aus München. Ich hab ihn aufgehängt, weil ich das Bild mag. Schließlich bin ich vorsichtig und lasse nicht jeden hier herein. Der Hockney wird demnächst abgeholt.«
Tom lächelte. Er mußte daran denken, daß Reeves ein herrliches Leben in einer Stadt führte, in der es sich sehr angenehm leben ließ. Immer war etwas los. Nie machte Reeves sich Sorgen; mit mehr Glück als Verstand mogelte er sich stets irgendwie durch und überlebte selbst die heikelsten Situationen, so wie einmal, als man ihn zusammengeschlagen und bewußtlos aus einem fahrenden Auto geworfen hatte. Damals, in Frankreich, das wußte Tom noch, hatte er sich nicht einmal die Nase gebrochen.
Als er am Abend ins Bett schlüpfte, regte der Junge sich nicht. Er lag auf dem Bauch, die Arme um das Kissen geschlungen. Tom fühlte sich hier sicherer als in Berlin. Trotz der
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