Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
Bombe damals, trotz eines möglichen Einbruchs kam er sich in Minots Wohnung so behütet vor wie in einer kleinen Burg. Er könnte Reeves fragen, wie er sich schützte, über den Einbruchsalarm hinaus, den er installiert haben mochte. Mußte er Schutzgeld bezahlen? Hatte er die Polizei je um Bewachung gebeten, weil er gelegentlich mit wertvollen Gemälden handelte? Es wäre womöglich unhöflich, Minot nach seinen Sicherheitsmaßnahmen zu fragen.
Ein leises Klopfen weckte Tom. Er schlug die Augen auf und begriff, wo er war. »Herein!« rief er auf deutsch.
Gaby trat schüchtern und schwerfällig ins Zimmer. Sie trug ein Tablett mit Kaffee und Brötchen und sagte ihrerseits auf deutsch: »Herr Tom, wir freuen uns wirklich, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen! Wann war das…?« Sie sprach leise, Frank schlief noch. Gaby war in den Fünfzigern und trug ihr glattes schwarzes Haar zu einem Dutt geflochten. Ihre Wangen waren rot gefleckt.
»Und ich bin so froh, hier zu sein, Gaby. Wie geht es Ihnen? Stellen Sie’s hierher, das geht schon.« Er meinte seinen Schoß. Das Tablett hatte Beine.
»Herr Reeves ist weggegangen, aber er sagte, Sie hätten die Schlüssel.« Lächelnd betrachtete sie den schlafenden Jungen. »In der Küche ist noch mehr Kaffee.« Gleichmütig klang das; sie gab lediglich eine Tatsache wieder, und nur ihre dunklen Augen verrieten lebhaftes Temperament und kindliche Neugier. »Ich bin noch fast eine Stunde hier. Bloß falls Sie etwas brauchen.«
»Danke, Gaby.« Mit dem Kaffee und einer Zigarette wurde Tom allmählich wach. Er ging ins Bad, um zu duschen und sich zu rasieren.
Als er ins Gästezimmer zurückkam, sah er den Jungen barfuß vor dem geöffneten Fenster stehen, einen Fuß auf dem Fensterbrett. Sein Gefühl sagte ihm, der Junge wolle jeden Augenblick springen. »Frank?« Er hatte ihn nicht hereinkommen hören.
»Tolle Aussicht, was?« Jetzt stand Frank mit beiden Füßen auf dem Boden.
War der Junge gerade zusammengezuckt, oder hatte er sich das nur eingebildet? Tom ging zum Fenster und betrachtete die Ausflugsdampfer, die das blaue Wasser der Alster nach links durchpflügten, das halbe Dutzend dahingleitender Segelboote und die Menschen auf der Uferpromenade. Überall flatterten leuchtende Fähnchen im Wind, die Sonne schien. Wie ein deutscher Dufy, dachte Tom. »Du wolltest doch nicht etwa springen, oder?« fragte Tom wie im Scherz. »Sind nur ein paar Stockwerke. Nicht sehr befriedigend.«
»Springen?« Frank schüttelte rasch den Kopf und trat einen Schritt zurück, als scheue er sich, Tom zu nahe zu kommen. »Bestimmt nicht… Was dagegen, wenn ich mich wasche?«
»Geh nur. Reeves ist nicht hier, aber Gaby, die Haushälterin. Sag einfach ›Guten Morgen‹ zu ihr. Sie ist sehr freundlich.« Der Junge nahm seine Hose und ging über den Flur. Seine Angst war wohl doch unbegründet gewesen, dachte Tom: Heute morgen wirkte Frank entschlossen und zielstrebig; die Wirkung der Tabletten schien verflogen.
Später am Vormittag waren sie in St. Pauli. Auf der Reeperbahn hatten sie in die Fenster der Sexshops geschaut, die gräßlichen Fassaden der Non-Stop-Pornokinos betrachtet und die Dessous für sie und ihn in den Auslagen bestaunt. Irgendwo dröhnte Rockmusik. Selbst zu dieser Stunde gab es Kunden, die etwas suchten, fanden und kauften. Tom mußte blinzeln, weil er so verblüfft war oder wegen der im gleißenden Sonnenlicht grellbunten Zirkusfarben. Er stellte fest, daß er eine prüde Seite hatte, vielleicht wegen seiner Kindheit in Boston, Massachusetts. Frank gab sich betont gelassen, aber angesichts von Dildos und Vibratoren mit Preisschildern war auch nichts anderes zu erwarten.
»Abends muß hier der Teufel los sein«, bemerkte er.
»Auch jetzt läuft das Geschäft.« Tom hatte zwei junge Frauen bemerkt, die entschlossen auf sie zusteuerten. »Nehmen wir eine Straßenbahn – oder ein Taxi. Zum Zoo, das ist immer lustig.«
Frank lachte: »Schon wieder!«
»Na ja, ich mag Zoos eben. Den hier mußt du gesehen haben.« Tom erspähte ein Taxi.
Die beiden Frauen, eine noch unter zwanzig und auf anziehende Weise ungeschminkt, nahmen wohl an, das Taxi sei für sie vier bestimmt, doch Tom winkte ab, lächelte höflich und schüttelte den Kopf.
Am Kiosk vor dem Tierpark Hagenbeck kaufte er eine Zeitung und überflog sie erst kurz, dann noch einmal genauer. Er suchte nach ein paar Zeilen über die Entführer in Berlin oder Frank Pierson. Aber auch der zweite, eher
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