Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
spielen. Sollte der Junge verschwinden (wieviel Geld hatte Frank gewechselt, wieviel Franc und Dollar blieben ihm noch?) – nun, dann würde er seinen Koffer nach Paris mitnehmen und ins Lutetia bringen. Ob der Junge seinen Paß dabei hatte? Tom machte kehrt und schlenderte auf die Platane zu, die er von den anderen Bäumen nur unterscheiden konnte, weil ein älterer Herr auf einem Stuhl darunter saß und eine Zeitung las. Von dem Jungen keine Spur.
Dann tauchte Frank lächelnd zwischen den wenigen Passanten auf. Er trug eine große, rotweiße Plastiktasche. »Danke«, sagte er.
Tom fragte erleichtert: »Hast du etwas gekauft?«
»Ja, ich zeig’s Ihnen später.«
Dann zum Jungfernstieg. Den Namen dieser Uferpromenade hatte Tom behalten, weil Reeves ihm einmal erzählt hatte, das sei in alten Zeiten die Flaniermeile der hübschen Hamburgerinnen gewesen. Die Ausflugsschiffe für die Alsterrundfahrten legten von einem Kai direkt am Jungfernstieg ab. Tom und Frank gingen an Bord.
»Mein letzter Tag in der Freiheit!« sagte Frank auf dem kleinen Schiff. Sein braunes Haar wehte in der steifen Brise, die ihm die Hose an die Beine preßte.
Beide standen lieber und drückten sich in eine Ecke der Aufbauten, wo sie niemandem im Weg waren. Ein redseliger Mann mit weißer Mütze und einem Megaphon vor dem Mund erklärte ihnen die Sehenswürdigkeiten, die das Schiffchen passierte, die großen Hotels mit den grünen, sanft abfallenden Rasenflächen und Blick auf die Alster – die Preise dort, versicherte er, seien »mit die höchsten auf der ganzen Welt«. Tom fand das amüsant; der Blick des Jungen dagegen ging starr in die Ferne. Vielleicht sah er eine Möwe, vielleicht auch Teresa. Tom wußte es nicht.
Als sie kurz nach sechs zurückkehrten, war Reeves nicht zu Hause, hatte aber mitten auf dem ordentlich gemachten Bett im Gästezimmer einen Zettel hinterlassen: »Bin spätestens um sieben zurück. R.« Tom war froh, daß Minot noch nicht da war, weil er mit dem Jungen allein sprechen wollte.
»Du erinnerst dich, was ich dir in Belle Ombre gesagt habe – über deinen Vater?«
Einen Augenblick schien Frank verwirrt, dann erwiderte er: »Ich glaube, ich weiß noch jedes Wort, das Sie zu mir gesagt haben.«
Sie waren im Wohnzimmer. Tom stand am Fenster, der Junge saß auf dem Sofa.
»Ich sagte, du solltest niemandem erzählen, was du getan hast. Kein Geständnis. Denk nicht mal daran, nicht für eine Sekunde.«
Frank wich seinem Blick aus, sah zu Boden.
»Und? Überlegst du, es irgendwem zu beichten? Deinem Bruder etwa?« Eine Frage ins Blaue hinein, in der Hoffnung, etwas herauszubekommen.
»Nein, tue ich nicht.«
Die tiefe Stimme des Jungen klang durchaus entschlossen, aber Tom wußte nicht, ob er ihm glauben konnte. Am liebsten hätte er ihn bei den Schultern genommen und solange geschüttelt, bis er zur Vernunft kam. Würde er es wagen? Nein. Aber was hatte er selbst zu befürchten, fragte sich Tom – daß er bei der Aufgabe versagen könnte? »Das hier solltest du wissen. Wo ist sie?« Tom ging zu dem kleinen Stapel Zeitungen in der Sofaecke, suchte die Zeitung von gestern heraus und zeigte Frank das Foto des Toten in Lübars auf der Titelseite: »Gestern hast du das hier auf dem Flug betrachtet, ich habe dich beobachtet. Diesen… Den Mann habe ich getötet, in Lübars, im Norden von West-Berlin.«
»Sie?« Franks Stimme wurde vor Staunen heller.
»Du hast mich nie gefragt, wo das Geld übergeben werden sollte. Egal – ich hab ihn am Kopf getroffen, wie du siehst.«
Frank blinzelte ein paarmal, sah Tom in die Augen: »Warum haben Sie mir das nicht früher gesagt? Klar, jetzt erkenne ich den Kerl wieder – der Italiener, er war in der Wohnung!«
Tom zündete sich eine Zigarette an. »Ich sage dir das jetzt, weil…« Weil was? Tom brach ab, er mußte die richtigen Worte finden. Eigentlich war das nicht zu vergleichen: den Vater von der Klippe zu stoßen und einem Kidnapper den Schädel einzuschlagen, der mit geladener Pistole auf einen zukam. Aber in beiden Fällen wurde einem Menschen das Leben genommen. »Daß ich diesen Mann umgebracht habe, wird mein Leben nicht verändern. Na gut, er war wohl selber ein Verbrecher. Und er war nicht der erste, den ich getötet habe. Das brauche ich dir wohl kaum zu sagen.«
Frank schaute ihn verwundert an: »Haben Sie je eine Frau getötet?«
Tom lachte. Genau das hatte er gebraucht – lachen zu können. Und er war auch erleichtert, daß Frank ihn nicht nach
Weitere Kostenlose Bücher