Mein Leben bei al-Qaida - Nasiri, O: Mein Leben bei al-Qaida - Inside the Jihad. My Life with Al-Qaida. A Spy's Story
PROLOG
Von den Anschlägen am 11. September 2001 erfuhr ich durch das Radio. Ich war mit dem Auto unterwegs, um meine Frau von der Arbeit abzuholen. Die Reporter dachten, ein Flugzeug habe das Gebäude versehentlich gerammt. Meine Frau stieg ins Auto. Auch sie glaubte, die Kollision sei ein Unfall gewesen.
Ich wusste, dass es kein Unfall war. Ich wusste es, bevor das zweite Flugzeug einschlug. Und ich wusste, wer das getan hatte.
Als wir nach Hause kamen, schaltete ich CNN ein. Inzwischen brannten beide Türme des World Trade Centers. Schreiende Menschen liefen durch die Straßen.
In dieser Situation tat ich das Einzige, was mir zu tun blieb: Ich griff zum Telefon, um meinen Kontaktmann beim deutschen Geheimdienst anzurufen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eineinhalb Jahre lang nicht mehr mit diesem Mann gesprochen, und ich hasste ihn. Doch jetzt starben Tausende von Menschen, und mir blieb keine Wahl.
Er meldete sich schon nach dem ersten Rufton. Als ich meinen Namen nannte, klang er überrascht.
„Ich möchte meine Hilfe anbieten“, sagte ich.
„Wissen Sie, wer das getan hat? Kennen Sie einen der Flugzeugentführer? “
„Nein“, antwortete ich, „aber ich weiß, wer dahintersteckt. Ich weiß, warum sie es getan haben. Ich weiß, wer diese Leute sind, und ich kenne ihre Denkweise.“
Ich wusste über all dies Bescheid, weil ich al-Qaida kannte. In Belgien hatte ich mit al-Qaida-Mitgliedern zusammengewohnt, auch wenn es diesen Namen damals noch gar nicht gab. In Belgien kaufte ich Gewehre für sie, die sie dann in alle Welt verschifften. Ich transportierte für sie Sprengstoff nach Afrika, der dann im schmutzigen Bürgerkrieg in Algerien eingesetzt wurde. Ich versandte ihre Rundbriefe. Ich kannte die führenden Leute der Gruppe in Europa. Einer von ihnen organisierte die tödlichen Anschläge auf die Pariser Metro im Jahr 1995. Andere Mitglieder waren in eine tödliche Flugzeugentführung verwickelt. Diese Männer lebten in meinem Haus.
Später ging ich nach Afghanistan, wo ich mit al-Qaida-Leuten im selben Raum aß, schlief und betete. Ich kam diesen Menschen so nahe, wie es nur möglich war. Ich teilte ihre Wut und ihren Schmerz, ich teilte meine Waffen und meinen Schweiß mit ihnen. Ich war bereit, mein Blut für sie zu vergießen, und mehr als einmal setzte ich mein Leben für sie ein. Sie waren meine Brüder, und mit Freuden hätte ich ihnen alles gegeben, was ich besaß.
Im Umgang mit diesen Menschen wurde ich zum Mudschahid. Ich erlernte den Umgang mit nahezu jedem Waffentyp, den es auf diesem Planeten gibt, von der Kalaschnikow bis zur Flugabwehrrakete. Ich lernte, wie man einen Panzer fährt, und auch, wie man einen in die Luft jagt. Ich lernte, wie man ein Minenfeld anlegt und wie man eine Handgranate so wirft, dass sie den größtmöglichen Schaden anrichtet. Ich lernte, wie man den Häuserkampf in Städten führt, wie man Mordanschläge und Entführungen organisiert und wie man der Folter widersteht. Ich lernte, wie man aus den einfachsten Substanzen tödliche Bomben herstellt – auch aus Kaffeepulver oder Vaseline. Ich lernte, wie man einen Menschen mit bloßen Händen tötet.
Mein Lehrer im Umgang mit Schusswaffen, im Studium des Korans und bei der Analyse von Fragen der Weltpolitik war Ibn al-Sheikh al-Libi, der Osama Bin Ladens Ausbildungslager leitete und später die CIA mit Lügengeschichten über Bin Ladens angebliche Verbindungen zu Saddam Hussein versorgte. Ich lernte Abu Khabab al-Masri kennen, Bin Ladens führenden Sprengstoffexperten. Er wollte mich für einen Bombenanschlag auf eine Botschaft anwerben. Ich traf auch Abu Zubayda, den obersten Werber von al-Qaida. Er schickte mich als „Schläfer“zurück nach Europa, wo ich Fachwissen für künftige Sprengstoffanschläge sammeln sollte.
Doch keiner dieser Männer kannte die Wahrheit: dass ich mich letztlich gegen sie und die Ermordung unschuldiger Menschen entschieden hatte. Ich war ein Spion. Ich war als Agent der DGSE ( Direction Générale de la Sécurité Extérieure ) – des für die Gegenspionage zuständigen französischen Auslandsgeheimdienstes – in die Ausbildungslager eingeschleust worden. Nach meiner Rückkehr aus Afghanistan nach Europa arbeitete ich weiterhin für die DGSE, ebenso wie für den MI5, während Abu Zubayda nach wie vor glaubte, ich arbeitete für ihn. Im Auftrag dieser Dienste fand ich Zugang zu den Londoner Moscheen der radikalen Prediger Abu Qatada und Abu Hamza. Für Abu Zubayda
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