Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
bevor er ihn öffnete. Sie waren allein im Zimmer. Der Umschlag war nicht zugeklebt; Tom fragte sich, ob Lanz den Inhalt kannte. Gut möglich. In seiner Gegenwart wollte er nicht hineinschauen, zugleich aber wollte er wissen, ob die Hamburger gute Arbeit geleistet hatten.
»Ich glaube, Sie werden zufrieden sein«, bemerkte Lanz.
Das Foto des Jungen trug ein erhaben aufgeprägtes offizielles Siegel mit der Aufschrift: MIT FOTO VERSEHEN VON DER PASSBEHÖRDE DES AUSSENMINISTERIUMS, NEW YORK teils unter, teils auf dem Bild. Der Name lautete auf BENJAMIN GUTHRIE ANDREWS , geboren in New York. Größe, Gewicht und Geburtsdatum paßten durchaus auf den Jungen, wenn er auch hiernach 17 Jahre alt war. Egal, eine gute Arbeit, fand Tom, der damit Erfahrung hatte – wahrscheinlich würde man nur unter der Lupe entdecken, daß das Siegel auf dem Foto sich nicht ganz mit dem Siegelrest auf der Seite deckte. Oder doch? Tom konnte es nicht erkennen. Auf der zweiten Seite stand die volle Anschrift, offenbar die der Eltern, eine New Yorker Adresse. Der Paß war rund fünf Monate alt; er trug Einreisevisa von Heathrow, danach aus Frankreich und dann aus Italien, wo man dem glücklosen Besitzer das Dokument vermutlich abgenommen hatte. Ein gültiges französisches Einreisevisum fehlte, aber solange Franks Aussehen bei der Paßkontrolle keinen Verdacht erregte, würde kein Beamter auch nur einen Blick auf Ein- oder Ausreisevisa werfen. Tom wußte das. »Ausgezeichnet«, sagte er schließlich.
»Nun muß er noch quer über dem Foto unterschreiben.«
»Wissen Sie, ob der Name geändert wurde oder ob nun der echte Benjamin Andrews nach seinem Paß suchen läßt?« Tom hatte an dem maschinegeschriebenen Namen auf der inneren Umschlagseite keine Radierspuren feststellen können, zudem war auch der kleinste Rest einer früheren Unterschrift neben dem Foto gründlich entfernt worden.
»Den Nachnamen hat man geändert, wie mir Reeves sagte. – Kaffee? Die Kanne ist leer, aber ich kann das Hausmädchen bitten, welchen zu kochen.« Eric Lanz schien schlanker geworden, ja sogar sozial aufgestiegen zu sein, seit Tom ihn vor drei Tagen zuletzt gesehen hatte – als wäre er ein Zauberer, der sich kraft seiner Gedanken verwandeln konnte. Er trug nun die Hose eines dunkelblauen Sommeranzugs, ein teures weißes Seidenhemd und die Schuhe, die Tom schon kannte. »Setzen Sie sich, Tom.«
»Danke, aber ich wollte bald zu Hause sein. – Anscheinend reisen Sie viel.«
Eric lachte, rosige Lippen, weiße Zähne. »Reeves hat immer Arbeit für mich. Auch in Berlin. Diesmal verkaufe ich Hi-Fi-Geräte«, sagte er leiser mit einem Blick zur Tür hinter Tom. » Offiziell jedenfalls, ha, ha! Wann kommen Sie mal nach Berlin?«
»Keine Ahnung. Noch keine Pläne.« Tom hatte den Paß in den Umschlag zurückgesteckt und hielt ihn hoch, bevor er ihn in der Innentasche seines Jacketts verschwinden ließ. »Das hier begleiche ich wie vereinbart mit Reeves.«
»Ich weiß.« Eric zog seine Brieftasche aus dem blauen Jackett auf dem Sofa, nahm eine Visitenkarte heraus und gab sie Tom. »Sollten Sie je nach Berlin kommen, würde ich Sie gern wiedersehen.«
Tom sah sie sich an: Niebuhrstraße. Wo die genau war, wußte er nicht, irgendwo in Berlin aber. Eine Telefonnummer stand dabei. »Danke. Kennen Sie Reeves schon lange?«
»Ach, seit zwei, drei Jahren.« Wieder ein Lächeln von seinem hübschen kleinen Rosenmund. »Viel Glück, Tom, Ihnen und Ihrem Freund.« Er begleitete ihn zur Tür. »Wiedersehen«, sagte Lanz leise, doch vernehmlich auf deutsch.
Tom ging hinunter, stieg in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Berlin: nicht wegen Eric Lanz, falls der je zu Hause sein sollte, ganz bestimmt nicht, sondern weil die Stadt abseits der Touristenströme lag. Wer wollte schon nach Berlin, außer vielleicht Weltkriegsforscher oder, wie Lanz gesagt hatte, Geschäftsleute, die Konferenzen besuchten? Wenn der Junge sich noch ein paar Tage länger verkriechen wollte, dann wäre Berlin vielleicht eine gute Idee. Venedig war schöner, attraktiver, aber auch eine Stadt, wo Johnny und der Detektiv womöglich tagelang suchen würden. Eines wollte Tom auf keinen Fall – daß die beiden auf einmal vor der Tür von Belle Ombre standen.
9
BENJAMIN . Ben. Der Name gefällt mir.« Frank strahlte. Er saß auf der Bettkante und betrachtete seinen neuen Paß.
»Ich hoffe, das macht dir Mut«, sagte Tom.
»Hat Sie bestimmt einiges gekostet. Sagen Sie mir, wieviel, und wenn nicht
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