Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
erfahren würde, und hoffte, sie mußte nicht unters Messer. Tom wollte vor zehn nach Fontainebleau fahren, um die Tickets zu besorgen. Héloïse würde er sagen, es gehe um einen dringenden Auftrag für Reeves Minot, erst in der Nacht habe er den Anruf erhalten, etwas in der Art. In ihrem Zimmer gab es kein Telefon, und wenn die Tür geschlossen war, bekam sie von Anrufen nichts mit, die über die Apparate in seinem Zimmer oder unten im Wohnzimmer liefen. Das Fernsehen brachte weitere Schreckensnachrichten. Tom beschloß, das Gespräch mit ihr zu verschieben.
Bevor er zu Bett ging, klopfte er bei Frank an und gab ihm Broschüren über Berlin und einen Stadtplan. »Könnte dich interessieren. Du erfährst etwas über die politische Situation und so weiter.«
Noch vor dem Frühstück hatte Tom seine Pläne etwas geändert. Seinen eigenen Flugschein würde er in einem Reisebüro in Moret besorgen, das Ticket des Jungen telefonisch am Flughafen reservieren. Héloïse erzählte er,Reeves habe weit nach Mitternacht angerufen: Er solle sofort nach Hamburg kommen, ein Kunstverkauf erfordere unbedingt seine sachverständige Anwesenheit.
»Heute morgen habe ich mit Billy gesprochen. Er will mich nach Hamburg begleiten und wird von dort nach Amerika zurückfliegen.« Zuvor hatte Tom ihr gesagt, am Montag habe sich Billy in Paris noch nicht entscheiden können, wohin er wolle.
Héloïse freute sich sichtlich, daß der Junge mit ihm abreisen würde. Was Tom nicht überraschte. »Und zurück kommst du – wann?«
»Ach, sagen wir, in drei Tagen. Sonntag, vielleicht Montag.« Tom saß bei Toast und einem zweiten Kaffee im Wohnzimmer. »Ich fahre gleich, wegen der Flugtickets. Und ich hoffe auf gute Neuigkeiten um zehn, chérie. «
Dann sollte sie den Arzt im Pariser Krankenhaus anrufen, wegen des Befundes. »Merci, chéri.«
»Mein Gefühl sagt mir, deiner Mutter fehlt nichts.« Er meinte das ehrlich, weil ihre Mutter kerngesund schien. In diesem Moment sah Tom, daß Henri, der Gärtner, eingetroffen war (dabei hatten sie heute weder Dienstag noch Donnerstag, sondern Freitag) und träge Regenwasser aus der Zisterne am Gewächshaus in große Eisenkannen füllte. »Henri ist da. Schön.«
»Ich weiß. – Tomme, das in Hamburg ist doch nicht gefährlich, oder?«
»Nein, Liebes. Reeves weiß, daß ich auf einer Buckmaster-Versteigerung war, die lief nicht viel anders als die kommende Hamburger Auktion. Außerdem ist es ein schöner Abflugort für Billy. Ich werde ihm ein bißchen die Stadt zeigen. Gefährliche Sachen mache ich nie.« Tom lächelte bei dem Gedanken an Schießereien – er glaubte, noch nie in so etwas geraten zu sein, doch dann fiel ihm ein Abend in Belle Ombre ein, als zwei Mafialeichen blutüberströmt auf dem Marmorboden genau hier im Wohnzimmer gelegen hatten. Das Blut hatte Tom mit einem von Madame Annettes dicken grauen Scheuerlappen aufwischen müssen. Héloïse hatte davon nichts mitbekommen. Wenigstens war das keine Schießerei gewesen: Die Mafiamänner hatten Waffen getragen, doch Tom hatte den einen mit einem Holzscheit niedergeschlagen. Daran erinnerte er sich nur ungern.
Vom Zimmer rief er Roissy an und erfuhr, daß auf einem Air-France-Flug um 15:45 noch Plätze frei waren. Er buchte einen auf den Namen Benjamin Andrews; das Ticket würde am Abflugschalter bereitliegen. Dann fuhr er nach Moret und kaufte auf seinen Namen ein Ticket nach Hamburg, Hin- und Rückflug. Nach der Rückkehr sagte er dem Jungen, sie würden das Haus gegen eins verlassen und zum Flughafen fahren.
Tom war froh, daß Héloïse Minots Hamburger Telefonnummer nicht wissen wollte. Bestimmt hatte er ihr die Nummer vorher schon einmal gegeben, aber sie könnte sie verlegt haben. Sollte sie die Nummer finden und Minot anrufen, würde das peinlich. Tom beschloß also, Reeves nach seiner Ankunft von Berlin aus anzurufen – etwas sträubte sich in ihm, das jetzt zu tun. Frank war packen gegangen, und Tom sah sein Haus wie ein Schiff, das er bald aufgeben müsse, obwohl es bei Madame Annette in guten Händen war. Drei oder vier Tage nur? Das war nichts. Tom hatte überlegt, den Renault zu nehmen und ihn im Flughafenparkhaus abzustellen, doch Héloïse wollte sie im Mercedes, der wieder einwandfrei lief, hinfahren oder doch wenigstens begleiten. Also fuhr Tom den Mercedes zum Flughafen Roissy-Charles de Gaulle und dachte unterwegs, wie gemütlich und praktisch es mit dem Flughafen Orly zwischen Villeperce und Paris gewesen war –
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