Lust de LYX - Ergebener der Lust (German Edition)
1
Den Blick auf den frühen Sonnenaufgang am Westufer von Oahu gerichtet, hob Claire Sampson den Becher an die Lippen. Wenige Meter vor ihr rollten die Wellen sanft über den weißen hawaiianischen Sand, und eine leichte Brise spielte in den Palmwipfeln über ihr, während sie an dem heißen Kaffee nippte. Doch ihre Aufmerksamkeit galt nicht der friedvollen Aussicht, sondern einem Boot, das etwa anderthalb Kilometer vor der Küste mit aufgeblähten Segeln gemächlich durchs Wasser glitt und Kurs nahm auf exotischere Inseln.
Tahiti, Fidschi, vielleicht sogar Australien. War dorthin ihre Flasche unterwegs? Vergeudete sie nur kostbare Zeit auf diesem hawaiianischen Atoll? Claire schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf, dann wandte sie sich ab und schlurfte zurück in den Bungalow, den sie für die Dauer ihres Forschungssemesters angemietet hatte.
Ihre offizielle Version gegenüber der Universität von Florida lautete, dass sie sich eine Auszeit nähme, um die lokale hawaiianische Folklore und deren Bedeutung für die Geschichte der Inseln zu erforschen, doch das war reine Tarnung. In Wirklichkeit hatte eine Obsession sie fest im Griff, von der sie einfach nicht lassen konnte – obwohl ihr schwante, dass sie sich damit nur Ärger einhandeln würde.
Ohne auf die Warnglocken in ihrem Kopf zu achten, stellte Claire den Becher auf den alten, schäbigen Tisch und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sie klappte den Laptop auf, öffnete die Seekarte der Kaneohe Bay und glich sie mit den Strömungen und Gezeiten ab, die sie am Vortag auf der Webseite der amerikanischen Wetter-und Ozeanografiebehörde aufgestöbert hatte. Die Flasche, die Mira vor nun schon fast sechs Monaten im Pazifischen Nordwesten in den Columbia River hatte fallen lassen, musste bald irgendwo angeschwemmt werden.
Claire kaute nervös auf der Unterlippe herum und wechselte zu einer anderen offenen Seite, um eine weitere Karte zu checken. Sie wäre jede Wette eingegangen, dass die Flasche hier angespült werden würde. Natürlich bestand eine geringe Gefahr, dass sie vom Alaskastrom geschluckt worden und nun von einer arktischen Eisscholle umschlossen war, doch Claires Instinkt sagte ihr, dass die Flasche genau hier stranden würde. Sie musste einfach!
Das Funktelefon klingelte, und sie nahm es ohne hinzusehen von der Ablage zu ihrer Rechten. »Hallo?«
»Claire? Bin ich froh, dass ich dich gefunden habe!«
Ihr Körper versteifte sich, als sie die Stimme erkannte. »Sura?«
»Ja, ich bin’s. Du, ich hab nicht viel Zeit. Sie wissen, was du vorhast.«
Wie in Trance stand Claire langsam auf. Obwohl sie geahnt hatte, dass dieser Moment irgendwann kommen würde, war sie jetzt so schockiert, dass ihr Puls raste. »Was hast du ihnen erzählt?«
Sura war die Einzige, die ihr aus ihrem alten Leben noch geblieben war, und von Zeit zu Zeit meldete sie sich bei Claire – hauptsächlich wohl aus Mitleid. Doch Claire hatten sie seit Monaten nicht gehört, und sogar Sura war nicht vollständig darüber im Bilde, was sie plante.
»Nichts! Ich hab ihnen gar nichts erzählt. Allerdings war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich alles selbst zusammenreimen konnten.«
Claires Schultern sackten nach unten und ihr bleischwerer Magen rebellierte – eine Reaktion, die sie völlig aus der Fassung brachte, weil sie so unerwartet kam. Wenn sich Herzschmerz auch nur annähernd so anfühlte, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie Menschen damit umgingen, die von dem vollen Spektrum an Emotionen überrollt werden konnten!
Es war völlig naiv gewesen, sich einzubilden, dass die Oberen das Ganze nicht irgendwann mitbekommen würden – erst recht nicht, nachdem sie sie in die Menschenwelt verbannt hatten. Aber Claire hatte wenigstens auf einen kleinen zeitlichen Vorsprung gehofft, um die Flasche vor ihnen zu finden. Doch dieses Glück sollte ihr offenbar nicht vergönnt sein.
»Bestimmt klügeln sie jetzt schon meine nächste Bestrafung aus«, murmelte Claire mit mehr Sarkasmus in der Stimme als beabsichtigt. »Obwohl ich mir rein gar nichts vorstellen kann, das schlimmer wäre als das hier! Wie viel Zeit bleibt mir?«
»Keine Ahnung. Ridwan berät sich gerade mit den anderen, und sie werden dich garantiert bald holen.«
Ridwan. Na toll. Das könnte bedeuten, dass sie schon heute hier sein würden – oder morgen oder in einem Monat. Die Hohen Sieben verfügten über eine völlig andere Zeitvorstellung als die Menschen.
Sura zögerte, bevor sie in
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