Der junge Häuptling
Schlapphut. Blitzwolke achtete auf die angewachsenen Ohrläppchen. Sie hatte diesen Menschen schon einmal gesehen, und sie erkannte ihn sofort wieder. Das war Red Fox, der Mörder. Das Mädchen schauerte in ohnmächtigem Haß zusammen.
»Morgen, meine Herren. Es ist soweit!« begann der Reiter in der Sprache der Dakota, gemischt mit englischen Brocken.
»Eure Oberhäuptlinge sind geflüchtet. Alle Dakotabanden sind bereits auf dem Weg zur Reservation. Also Zelte abschlagen, auf die Reservation ziehen! Der Abmarsch erfolgt sofort. Wir warten zwanzig Minuten. Dann seid ihr bereit, oder es wird geschossen!«
Ein älterer Krieger der Bärenbande mit Adlerfedern im Schöpf trieb sein Pferd vor und übernahm es, zu antworten:
»Roter Fuchs! Mein Name ist ›Der Alte Rabe‹! Ich habe viele Sommer und Winter, viele rote und auch schon viele weiße Männer gesehen. Eure Worte können wir nicht nachprüfen. Euer Verlangen ist unbillig. Kommt zu uns in das Beratungszelt! Wir werden darüber sprechen, wohin und wann unsere Zelte weiterziehen sollen.«
»Ihr könnt sprechen, soviel und solange ihr wollt!« schrie Red Fox. »Aber ich sage euch: Zwei Minuten der Frist, die ich euch gegeben habe, sind schon abgelaufen! In achtzehn Minuten schießen wir, wenn eure Zelte nicht abgebrochen sind!«
Der Alte Rabe fuhr auf. Doch mußte er begreifen, daß er vor erbarmungslosen Feinden stand.
»In achtzehn Minuten!« brüllte Red Fox. »Ihr könnt eure Waffen behalten, ihr könnt eure Kinder behalten! Wir nehmen euch nichts weg! Aber vorwärts! Los mit euch auf die Reservation! In siebzehn Minuten – oder wir schießen und machen einen Haufen Leichen aus euch!«
Der Alte Rabe, Tschetansapa und Tschapa Kraushaar wandten einander das Gesicht zu und berieten, nur mit dem Blick.
»Wir ziehen auf die Reservation«, teilte Tschapa Kraushaar dann den Befehlshabern der Feinde mit. Es war gewiß, daß er lieber geschossen hätte, aber er durfte es nicht.
»Unsere Frauen und Kinder sind den ganzen Tag über gewandert. Morgen, mit Sonnenaufgang, brechen wir wieder auf.«
»In sechzehn Minuten seid ihr auf dem Weg oder tot!« schrie Red Fox ihn an. »Verdammter Nigger! Wir werden dir und den roten Schweinen Beine machen!«
Tschapa Kraushaar würgte die Beleidigung hinunter. Auch Tschetansapa überlegte nicht weiter. Es war stumm beschlossen worden, in diesem verzweifelten Augenblick zu gehorchen, also mußte es auch ohne Umschweife geschehen. Tschetansapa gab für Frauen und Kinder das Zeichen, die Zelte wieder abzuschlagen und die Habe wieder zusammenzupacken.
Müde, ungesättigt, erbittert gehorchten die Frauen und Kinder. Der Zug bildete sich von neuem.
Blitzwolke befand sich auf ihrem Lastpferd in der Reihe. Sie blickte geradeaus. Rechts und links ritten die feindlichen Reiter, die den Zug begleiteten. Sie wollte die Feinde, denen sie gehorchen mußte, nicht sehen. Darum hielt sie den Kopf steif, gerade und schaute nach vorn. Vor ihr ritt Uinonah auf einer Schimmelstute.
Die Frauen und Männer, auch die Kinder der Bärenbande blieben die Stunden der nächtlichen Wanderung hindurch still. Aber aus den Reihen der Dragoner und der Rauhreiter kamen Rufe und Scheltreden. Niemand außer Tschapa verstand, was die fremden Männer sagten, und der kraushaarige Krieger übersetzte die Schimpfworte nicht.
Weit nach Mitternacht befahlen die weißen Begleitmannschaften eine Rast. Wahrscheinlich waren sie selbst müde und hungrig. Die Indianer machten halt und stiegen ab. Aber sie aßen nichts. Nach einer Stunde wurde die Wanderung fortgesetzt.
Als es tagte, erreichten die Wandernden unter ihrer feindlichen Bedeckung den Unterlauf des Horse Creek, der in den North-Platte einmündete. Sie wurden den Morgen hindurch und den Tag über weitergetrieben. Erst am folgenden Abend konnten die Erschöpften zu einer Rast absteigen. Frauen und Kinder fanden sich auf Tschetansapas Befehl hin in einem engen Kreis zusammen und legten sich zum Schlafen zu viert und zu fünft miteinander unter eine Büffelhautplane. Die Krieger hockten sich rings um die Kinder und Frauen.
Blitzwolke war zu Uinonah und Untschida unter die Decke gekrochen. Nebenan lag Hapedah bei seiner Mutter Mongschongschah, die ihren Säugling in der Trage auf dem Rücken getragen hatte und ihn jetzt an die Brust nahm. Tschaske hatte zu Hyazinthe, Schonkas Frau, gehen müssen. Die Kinder verspürten alle heftigen Hunger, aber die Rationen, die Tschetansapa ausgeben ließ, waren sehr gering.
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