0276 - Ghouls in der Stadt
Er kletterte wieder nach oben. Geschafft. Das letzte Grab war fertig. Morgen konnte die Beisetzung stattfinden. Gauglis wischte sich mit dem Ärmel über die schweißnasse Stirn.
Daheim wartete das Bier im Kühlschrank. Gauglis schulterte Spaten und Hacke, nahm die Laterne auf und setzte sich in Bewegung, um den nächtlichen Friedhof zu verlassen. Da vernahm er das Geräusch.
Er konnte es nicht so recht einordnen. Was bedeutete das? Vorsichtig wandte er sich um und richtete den Schein der Laterne in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Das klang wie Erde, die sich bewegte .
»Potzblitz«, sagte Gauglis. »Was ist das denn?«
Es klang nicht nur so, da bewegte sich wirklich Erde! Gauglis erschrak. Die alten Schauermärchen durchfuhren ihn, an die er nie so recht hatte glauben wollen, wenn er auch den Friedhof bei Nacht immer mied.
Standen die Toten auf?
Die Angst packte ihn. Er wich zurück, Schritt für Schritt. Da drang etwas aus der Erde hervor, die doch so schwer und festgestampft sein mußte. Aber für die entsetzliche Kreatur, die sich da emporarbeitete, stellte sie kein Hemmnis dar.
Zombies? dachte Armand Gauglis entsetzt. Er ließ das Werkzeug von der Schulter gleiten, um sich mit Hacke und Spaten notfalls verteidigen zu können. Aber dazu kam es nicht. Plötzlich griff etwas nach Gauglis’ Fuß …
Er machte einen Sprung. Weil das Etwas ihn aber festhielt, stürzte er. Er schrie. Er sah etwas aus dem Boden kommen, grünlich und bestialisch stinkend … Schleimtropfen sprühten in sein Gesicht. Gallertartige Masse glitt über ihn hinweg. Er stieß mit beiden Fäusten zu, hinein in eine nachgiebige Masse, und kam wieder auf die Beine.
Das waren keine Zombies. Das waren andere Kreaturen des Bösen. Das konnten nur …
… Ghouls sein!
Gauglis schrie immer noch, als er zu fliehen versuchte. Doch sie kamen von allen Seiten. In dem Moment, als er sich erinnerte, daß Ghouls doch eigentlich Leichenfresser waren, sprang ihn einer an und brach ihm das Genick.
Die Ghouls hielten ihre jahrtausendealte Gewohnheit aufrecht. Sie machten sich über den Toten her …
***
Es war Zufall, daß Klaus Neubecker die Schreie hörte. Er machte Urlaub in Frankreich, mit wenig Gepäck, aber einem meist aufgereckten Daumen ausgerüstet. Per Anhalter streifte er durch das Land und lernte Land und Leute kennen. Das war mal etwas anderes als der eintönige Lehrbetrieb in einem Lebensmittelkonzern.
Er hatte sich in Fleury-sur-Loire, einem kleinen Dorf zwischen Nevers und Moulins, im einzigen ungezieferfreien Gasthof einquartiert, einige abendliche Schoppen Rotwein genossen und machte jetzt einen weitläufigen Spaziergang, um die warme Nachtluft zu genießen und die Sterne zu betrachten. Wann fand er schließlich einmal Zeit dazu? Doch nur im Urlaub. Und weil ihn niemand trieb, morgen schon früh wieder auf den Beinen zu sein, konnte er noch lange draußen bleiben.
Sein Spaziergang brachte ihn in Friedhofsnähe.
In der Dunkelheit war dieser nur schwer als Friedhof zu erkennen. Eine hohe Hecke zog sich um das Gelände, Bäume waren gut verteilt und ragten in den Sternenhimmel empor. Aber dann hatte Neubecker eine Pforte gesehen, und hinter dem schmiedeeisernen Gitter waren Grabsteine.
Er ging wieder schneller. Friedhof bei Nacht … das war nicht unbedingt sein Fall. Er las zwar gern Gruselromane, aber trotzdem …
Da vernahm er die Schreie.
Ein Mensch in höchster Not! Kalt lief es Neubecker über den Rücken. Ging da seine Fantasie mit ihm durch? Hörte er Dinge, die es nicht gab? Bildete er sich die Schreie nicht nur ein?
Mit einem Satz war er wieder an der Pforte, sah durch das Gitter. Da war eine Sturmlaterne in einiger Entfernung, und da bewegte sich etwas hektisch.
Die Schreie waren verstummt. Dennoch geschah da etwas, das ihm die Haare zu Berge trieb. Er lauschte in kaltem Entsetzen und vernahm das widerliche Schmatzen.
Konnte es das wirklich geben?
Das war ja wie im Gruselroman. »Ich spinne«, flüsterte er. »Das ist nicht möglich. Ich …«
Aber die Geräusche waren doch eindeutig.
Wie unter einem geheimnisvollen Zwang öffnete er die Pforte und trat langsam näher. Er verwünschte sich dafür, daß er keine Taschenlampe zu seinem Nachtspaziergang mitgenommen hatte. Aber je näher er kam, desto deutlicher sah er die schauerliche Szene im Sternenlicht.
Er kniff sich unwillkürlich in den Arm, um sicher zu sein, daß er nicht doch träumte.
Aber das Bild blieb. Da waren schleimige Gestalten
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