Der Junge mit dem Herz aus Holz
war das nun mal. Seine eigene Katze war auch vor ein paar Monaten gestorben, und sie hatten sie begraben, und alle waren ganz traurig gewesen, aber danach hatten sie weitergelebt. Seine Mutter hatte sogar für die Gitarre ein langes Lied über die Katze komponiert und es gespielt, als sie das Grab wieder zuschaufelten. So was konnte sie gut, fand Noah und lächelte in sich hinein. Mama sorgte dafür, dass traurige Erlebnisse nicht den gesamten Tag verdarben.
»Wer bist du überhaupt?«, fragte der Mann, beugte sich vor und schnupperte ausführlich an Noah, als wäre er eine Schüssel Schlagsahne, die zu lange auf der Anrichte gestanden hat und vielleicht schon sauer ist. »Ich kenne dich nicht, oder? Was hast du hier verloren? Wir wollen keine Fremden in unserem Dorf, nur damit du’s weißt. Geh gefälligst wieder dahin zurück, wo du herkommst, und lass uns in Frieden!«
»Ich bin Noah Barleywater«, sagte Noah, »und ich bin nur auf der Durchreise, weil –«
»Interessiert mich nicht!«, zischte ihn der kleine Mann an, packte seine Schubkarre und rannte los, laut vor sich hin schimpfend.
Die Leute hier sind nicht besonders freundlich
, dachte Noah, während er dem kleinen Mann nachschaute.
Und ich dachte schon, vielleicht ist dieses Dorf der richtige Ort für einen Neuanfang.
Der Zwischenfall hinterließ einen unangenehmen Geschmack in seinem Mund, und als er weiterging, hatte er das sichere Gefühl, dass alle Leute im Dorf ihn anstarrten. Bestimmt packten sie ihn gleich und warfen ihn ins Gefängnis. Da sah er einen Mann, der normal groß war. Dieser Mann saß auf einer Bank, las die Zeitung und schüttelte traurig den Kopf, als wären die Welt und alles, was sich auf der Welt ereignete, für ihn eine Quelle tiefster Enttäuschung.
»Lieber Himmel!«, rief der Mann plötzlich, zerknüllte die Ränder der Zeitung in den Fäusten und starrte entsetzt auf den Artikel, den er gerade las. »Ach, du grüne Neune!«
Noah zögerte kurz, doch dann lief er zu ihm hin und setzte sich neben ihn, weil er gern wissen wollte, worüber sich der Mann so aufregte.
»Das ist schockierend«, sagte der Mann und schüttelte wieder den Kopf. »Wirklich schrecklich schockierend.«
»Was meinen Sie?«, fragte Noah.
»Hier steht, dass mehrere Äpfel gestohlen wurden, und zwar von einem Baum in –« Er nannte den Namen des ersten Dorfes, durch das Noah heute Morgen gekommen war.
»Der Baum«
, las der Mann vor,
»nahm seine übliche Morgenposition ein, als aus dem Nichts ein junger Rüpel auftauchte und sich auf den Baum stürzte. Er stahl drei Äpfel und bewirkte, dass ein vierter Apfel vom Zweig fiel, auf dem Boden landete und lauter Flecken bekam. Sowohl der Baum als auch seine Äpfel mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden, wo ihre Verletzungen untersucht wurden. Die Ärzte sagen, die nächsten vierundzwanzig Stunden seien entscheidend.«
Noah runzelte die Stirn. Diese Nachricht hatte große Ähnlichkeit mit seinem eigenen Abenteuer von heute Morgen, aber das war höchstens zwei Stunden her, also konnte es unmöglich schon in der Zeitung stehen. Und war es überhaupt eine Meldung wert? Sein Vater sagte immer, diese Mistblätter würden sowieso nichts Gescheites drucken, nur läppischen Quatsch und Tratsch über irgendwelche Leute, die keinen Menschen interessierten.
»Ist das die Zeitung von heute?«, fragte Noah misstrauisch.
»Ja, natürlich«, antwortete der Mann. »Das heißt, eigentlich ist es die Abendausgabe, aber ich habe ein frühes Exemplar bekommen.«
»Aber es ist doch immer noch Morgen«, entgegnete Noah.
»Deshalb ist es ja ein frühes Exemplar«, sagte der Mann gereizt und drehte den Kopf, um den Jungen anzusehen. Kurz setzte er seine Brille auf, nahm sie aber gleich wieder ab. »Meine Güte!«, stöhnte er entsetzt, und seine Stimme überschlug sich.
Noah schaute ihn an. Er hatte keine Ahnung, warum der Mann so erschrocken war, aber dann sah er die Skizze unter der Geschichte von dem Apfeldieb: ein achtjähriger Junge, klein für sein Alter, aber mit schönen, dichten Haaren. Und der Junge biss gerade kräftig in einen Apfel.
Aber wie konnte das sein?
, fragte sich Noah. Es war doch niemand in der Nähe gewesen. Unter dem Bild stand fettgedruckt:
Mehr dazu auf Seite 4 , 5 , 6 , 7 , 14 , 23 und 40 . Achtung: dieser Junge ist eine Gefahr für die Menschheit. Man sollte sich ihm nur vorsichtig nähern oder gar nicht.
Da sind schon schlimmere Sachen über mich behauptet worden
, dachte Noah, aber
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