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Der junge Seewolf

Titel: Der junge Seewolf
Autoren: Adam Frank
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ihres Bruders ergänzte. Wer weiß, wie lange die beiden David ausgequetscht hätten, wenn nicht die Tante die Belagerung unterbrochen und ihm eine Pause zum Ankleiden und Frühstücken verschafft hätte.
    Mit Julie, Henry und Ajax war die Erinnerung an ausgelassene Spiele im Garten der Barwells verbunden, der sich vom Haus bis fast zum Ufer erstreckte, und an viele Spaziergänge in der Stadt und am Ufer. Manchmal, oft sonntags nach dem Kirchgang, waren Mr. und Mrs. Barwell dabei, aber öfter begleiteten das Mädchen oder John die Kinder, der Sicherheit und auch wohl der Schicklichkeit wegen.
    Portsmouth Point war ein Erlebnis, erstmals mit Johns sachkundiger Begleitung genossen. Sie wanderten am Appellplatz vorbei, sahen den Landeplatz von Sally Port, wo ständig kleinere Boote an- und ablegten und Scharen von Seeleuten entließen, die in den engen Gassen des Hafenviertels untertauchten.
    David war kaum von den Läden wegzulotsen, die alles anboten, was Schiffe und Seeleute nur gebrauchen konnten, aber auch das, was aus fernen Ländern herbeigeschafft war. Immer kamen dann die Bilder der Papageien in sein Gedächtnis, die in einigen Läden auf Stangen hockten, unvorstellbar bunt, und mißtönend krächzten oder heiser Namen und kleine Sätze – meist Flüche – hervorpreßten.
    John zeigte ihnen die in der Seefahrt weltbekannten Gasthäuser, das ›George‹, das ›Star and Garter‹ und das von Midshipmen – viele unnütze Burschen darunter, wie John knurrte – bevorzugte ›Blue Posts‹.
    Vorn am Kai schoben Hafenarbeiter die Schubkarren, rollten Fässer, die mit Taljen in Boote gehievt wurden, bahnten sich Fuhrwerke mühsam den Weg. David wurde an London erinnert, wenn auch das Menschengewirr mit seinen exotischen Tupfern von Laskaren und Negern und das Geschrei der Verkäufer nicht mehr so ungewohnt für ihn waren.
    Zwei Erlebnisse würde David in Verbindung mit Portsmouth Point nie vergessen. An einem Apriltag, sie hatten mit dem Mädchen gerade Zuflucht vor einem Regenschauer gesucht, trotteten zerlumpte, durchnäßte und schmutzige Elendsgestalten um die Ecke. Sie waren mit Ketten aneinander gefesselt, und Soldaten trieben sie mit Kolbenstößen voran.
    David, der seine Kraft brauchte, um den bellenden Ajax zurückzuhalten, bekam auf seinen fragenden Blick vom Mädchen Auskunft: »Deportierte, Diebe, vielleicht Mörder, die in die Kolonien nach Amerika verbannt worden sind.«
    Dann am Ende des Elendszuges, David erstarrte vor Mitleid und Grauen, schleppte sich etwa ein Dutzend Kinder dahin, manche jünger als er. Auch sie waren angekettet, die Arme zum Teil wundgescheuert von den Eisengliedern. Einige schauten trotzig geradeaus, andere schlurften mit gesenktem Blick dahin. Aber an der Seite des Zuges gingen eng umschlungen zwei Mädchen, acht oder neun Jahre alt, blond, vielleicht hübsch, wie man unter dem Schmutz ahnen konnte, und weinten lautlos.
    »Müßt ihr Kinder schinden und verbannen, ihr aufgeblasenen Bastarde?« rief ein dickes Fischweib einem Soldaten zu.
    Sie solle ihr ungewaschenes Maul halten, wurde geantwortet. Wenn ihr ein solches verdorbenes Gör den Rock klaue, schreie sie auch Zeter und Mordio. »Das Diebsgesindel ist dem Galgen entgangen, können noch froh sein! Sollen in der Wildnis arbeiten oder verhungern, was kümmert's mich«, schloß er seine Erklärung.
    Julie, David und Henry waren heimgerannt, verstört von dem Elend, das ihnen so nah gewesen war.
    »Onkel«, stieß David hervor, »sie haben Kinder aneinander gekettet und treiben sie zum Hafen. Jungen und auch Mädchen, manche nicht älter als Julie.«
    »Ich weiß, mein Junge«, sagte Mr. Barwell, »bei uns ist ein solcher Transport selten, aber in London kann man es öfter sehen. Wer älter als sieben Jahre ist, wird vom Gericht wie ein Erwachsener verurteilt. Auf Diebstahl steht oft die Todesstrafe. Sie haben in Nortwich vor kurzem ein siebenjähriges Mädchen gehenkt, das einen Unterrock gestohlen hatte. Dies ist nicht die Liebe und Güte, die unser Herrgott uns gebietet. Die Kinder wachsen in Hunger und Elend auf, sie werden zum Stehlen angeleitet, um Essen zu bekommen. Viele sind Waisen. Gott bewahre euch vor diesem Schicksal! Dankt Gott für jeden Tag, den ihr Nahrung und Wohnung habt, und betet für die Elenden.«
    »Aber, Onkel William, bei uns in Stade gibt es ein Waisen- und Erziehungsheim für solche Kinder. Warum tut man in England nichts für sie?«
    »Was verstehst du davon?« polterte der Onkel. »Stade
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