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Der junge Seewolf

Titel: Der junge Seewolf
Autoren: Adam Frank
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gute Eiche, müsse über Jahre lagern, sonst verrotte es im Wasser. Mitunter wachse der Baum auch von selbst in den gewünschten Krümmungen, so sei man dazu übergegangen, italienische Eiche zu importieren, die in den Bergen oft gekrümmt gewachsen sei. Und die Maße, die zeichneten Mr. Grey und seine Assistenten vorher auf dem Schnürboden auf, wo das Holz zugeschnitten werde.
    Als David ihn nach den Masten fragte, belehrte ihn sein Führer, daß erst der Rumpf, das Heck voran, ins Wasser gelassen werde, also vom Stapel laufe. Dann lege er längsseits an der Masthulk an, wo man mit einem großen Gerüst, mit Bäumen oder Querbalken und Seilzügen die großen Maststücke in den Neubau einsetze.
    »Vorher«, erläuterte Mr. Bentley, »muß der Rumpf des Schiffes aber noch gekupfert werden. Viele dünne Kupferplatten werden dabei überlappend mit Kupfernägeln auf die Planken genagelt. Das hält den Teredo-Wurm ab, der sich in warmen Gewässern sonst in den Schiffsrumpf bohrt und ihn mit der Zeit völlig durchlöchert.«
    Mr. Bentley wies auf die Masthulk, an der gerade eine Sloop zum Bemasten lag. »Dort bringen die Seilmacher auch das gesamte stehende und laufende Gut an, viele hundert Meter großer und kleiner Taue. Das stehende Gut sind die Taue, die die Masten stützen und die dunkel geteert sind. Die hellen Taue müssen beweglich bleiben, um die Segelstellung zu verändern. Das ist das laufende Gut.« Zweifelnd schaute er die kleine Landratte an, ob sie seine Erklärungen verstand, bei denen er schon auf vieles verzichtet hatte, was Schiffsbauer untereinander an Bezeichnungen verwenden.
    Er hatte wohl den Eindruck, daß es genug sei für eine erste Bekanntschaft mit dem Schiffsbau und sagte: »Nun gehen wir noch zum Nordkai, dort liegt eine Fregatte, die gerade entladen wird, bevor sie zur Überholung ins Dock kommt.«
    Sie stiegen von der Back hinunter in die Kuhl und wieder hinauf aufs Achterdeck. Sie kletterten einen Niedergang hinunter ins untere Deck und wieder hinauf zum Ruder, das David mit beiden Händen zu fassen versuchte.
    Er sah durch das Gewirr der Wanten, Pardunen und Stage hinauf zu den Masten und fragte: »Was meinen die Seeleute, wenn sie sagen, daß Schiffe leben?«
    »Ja«, Mr. Bentley schaute überrascht auf und sagte nachdenklich: »Das hängt wohl damit zusammen, daß ein Schiff im Wasser nie ruhig ist. Es seufzt und stöhnt, es ächzt und kracht, und jedes Schiff hat seine Eigenarten beim Segeln, die der Kapitän und der Master herausfinden müssen.«
    Als sie zurück ins Büro kamen, war Mr. Grey nicht da. Er war zum königlichen Werftkommissar gerufen worden und hatte hinterlassen, Mr. Bentley möge David mit der Kutsche heimbringen. Bei Onkel und Tante, Julie und Henry wollte David dann gar nicht mehr aufhören mit der Beschreibung dessen, was er alles gesehen hatte. Henry wurde der Erklärungen bald überdrüssig und maulte.
    Der Onkel sah seine Frau amüsiert an und neckte David: »Du redest ja wie einer, der mit Salzwasser getauft ist.«
    Aber Portsmouth, das waren nicht nur Spaziergänge und Besichtigungen, da war auch die Schule. Zwei Wochen nach seiner Ankunft wanderte er zu Mr. Potters Lehranstalt, einer Bürger- und Lateinschule, die auf wissenschaftlichen Prinzipien aufbaue, wie Mr. Potter immer wieder versicherte.
    Er war ein hagerer, asketisch wirkender Schotte, den es nach Studien in Edinburgh und Oxford nach Portsmouth verschlagen hatte. Er fühlte sich zum Erzieher berufen und sah Erziehung als eine wissenschaftliche Aufgabe an.
    Ursprünglich von Rousseaus Erziehungsprogramm im ›Emile‹ begeistert, hatte er sich in den Jahren als Lehrer und Schulleiter der Realität des Schulunterrichts angepaßt, der ihn nur ernährte, wenn er möglichst vielen Jungen betuchter Bürger so viel in die Schädel hineinbrachte, daß die Herren Väter das Schulgeld bezahlten.
    Aber die Zwänge dieser unpädagogischen Welt hatten ihn nicht von seinem Drang nach wissenschaftlichen Prinzipien abgebracht. Er korrespondierte mit dem Gutsbesitzer R.L. Edgeworth – der Jahre später sein berühmtes Werk ›Practical Education‹ veröffentlichte – sowie mit dem Arzt Erasmus Darwin und dem Philosophen Joseph Priestley.
    Mr. Potter examinierte David zunächst gründlich, fand sein Latein gut, sein Französisch recht befriedigend, aber seine mathematischen, physikalischen und geographischen Kenntnisse stufte er als mangelhaft ein. Und diese Fächer galten etwas in Portsmouth. Entsprechend wurde
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