Der junge Seewolf
erprobte Stütze vieler Jahre. »Bringt der Diener vom Hotel zur Post das Gepäck, Sir? Ah, ich seh' ihn schon mit der Karre.«
Sie stiegen eine breite Treppe hinauf und hatten kaum den ersten Absatz erreicht, als oben in der Wohnungstür eine Frau erschien und ihnen die Arme entgegenstreckte. Sie trug das Haar anders als seine Mutter und sah jünger aus, aber die Ähnlichkeit war so groß, daß David schlucken mußte, um nicht in Tränen auszubrechen.
»David, mein lieber Neffe, herzlich willkommen in Portsmouth. Wie freue ich mich, daß du uns endlich einmal besuchst. Wie geht es deiner Mutter? Du mußt mir viel erzählen«, sprudelte sie hervor.
»Und der Hausherr ist wohl ganz Nebensache! Was sind das nur für Sitten heutzutage?« meldete sich schmunzelnd der Onkel.
»Ach, William«, legte sie den Arm um ihn, »du weißt doch, wie ich mich über deine gesunde Heimkehr freue. Aber David sehe ich doch zum erstenmal nach elf Jahren wieder.«
Sie zog die beiden in die Diele, wo ihnen ein Mädchen die Mäntel abnahm. »Julie ist schon im Bett und Henry natürlich erst recht, aber morgen werden sie ihren Cousin kaum lange schlafen lassen.«
Sie gelangten in ein geräumiges Wohnzimmer mit Ledersesseln um einen nußbraunen Tisch. Von der nächsten Tür war ein Winseln zu hören.
»Laß ihn schon herein, Sally, bitte«, sagte der Onkel mit einem Seitenblick zu David.
Die Tante öffnete die Tür, und jaulend vor Freude stürzte ein großer Schäferhund auf Onkel William zu, drehte sich vor ihm, wedelte und winselte.
»Rex«, rief David im Ton höchster Überraschung, »Rex, wie kommst du hierher?«
Der Hund ging abwartend, aber schweifwedelnd auf David zu.
»Das ist nicht Rex, das ist Ajax, ein Bruder Eures Rex', den uns dein Vater bei seinem letzten Besuch vor acht Jahren als jungen Welpen gebracht hat.«
David kniete vor dem Hund, legte seinen Kopf an den Kopf des Hundes mit dem weichen Fell und den großen Ohren und umfaßte seinen Hals. Mit dem Instinkt des geliebten Haushundes spürte das Tier die Zuneigung und ließ ihn gewähren.
»Das ist ja wie Nach-Hause-Kommen«, schluchzte David.
»Mögest du es immer so empfinden, wenn du zu uns kommst«, sagte die Tante, und auch sie konnte ihre Rührung nicht verbergen.
Die letzten Wochen der Kindheit
Wenn David sich in späteren Jahren an die ersten Wochen in Portsmouth zu erinnern versuchte, so war es immer, als ob ein Sturzbach von Bildern an ihm vorbeirauschte, aus dem er nur mühsam einzelne Szenen anhalten konnte.
Zuneigung und Freude erfüllten ihn, wenn er an seine Cousine Julie und seinen Cousin Henry dachte, die am ersten Morgen schon in aller Frühe mit einem hechelnden und schweifwedelnden Ajax in seine Kammer gestürmt waren.
Julie mit ihren acht Jahren sah ihn recht kritisch und distanziert aus blaugrauen Augen an. Sie hatte eher die untersetzte Figur ihres Vaters, aschblonde Haare, eine hohe Stirn über einem relativ breiten Gesicht.
Später glaubte sich David zu erinnern, daß sie ihm nicht eigentlich als hübsches Mädchen erschienen war, obwohl sie recht niedlich aussah, besonders wenn sie lächelte. Aber ihre Willenskraft, ihre Intelligenz und ihre unbeirrbare Freundschaft, wenn sie jemanden ins Herz geschlossen hatte, mußten wohl schon früh auch Davids Sympathie geweckt haben.
Der fünfjährige Henry hatte den Charme, die Zutraulichkeit und die Ausstrahlung, die ein Fremder vielleicht bei der Schwester vermißte. Er war der Liebling seiner Umgebung, zierlicher als seine Schwester, mit strohblondem, etwas gelocktem Haar, zu dem braune Augen einen reizvollen Kontrast bildeten.
In ihm steckte viel Übermut, und seine Umgebung wartete fast darauf, daß er wieder eine Redensart, einen Scherz, eine Bemerkung anbringen würde, die er irgendwo aufgeschnappt hatte. Meist paßten diese Äußerungen weder zu seinem Alter noch zur Situation, aber gerade das schien die Zuhörer zu amüsieren.
In späteren Jahren wurde David klar, daß Henry nicht die zupackende Intelligenz seiner Schwester besaß, aber in der Zeit der ersten Bekanntschaft blieb ihm das verborgen, und auch den Eltern konnte er solche Beobachtungen nicht anmerken, sofern, dachte er später, sofern ich damals überhaupt so etwas bemerkt hätte.
Henry sprang am ersten Morgen auch geradewegs mit den Knien auf Davids Bett und fragte ihn nach Herzenslust aus, während die Schwester etwas abwartend beobachtete und nur hin und wieder eine Zwischenfrage einstreute oder eine Feststellung
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