Der Kaefig - Roman
über einer Stunde steuerte Grace Bucklan den Pick-up durch die Dunkelheit Richtung Osten.
Du solltest vor Dämonen nicht weglaufen, sagte sie sich. Du musst dich ihnen stellen.
Ich fahre nach Hause. Ich bringe meine Schwester zurück. Ich werde Moms Freund aus dem Haus jagen. Wenn meine Mutter oder das perverse Schwein sich beschweren, können sie ja versuchen, der Polizei zu erklären, was passiert ist.
In Graces Kopf herrschte Chaos. Bilder aus den letzten paar Stunden schossen durch ihr Gehirn wie Maschinengewehrkugeln.
Pix saß benommen neben ihr und starrte ins Leere. Sie hatte von dem Aufprall auf den Betonboden im Horrorkabinett eine Beule an der Stirn. Aber sie schien nicht schlimm verletzt zu sein.
Grace war sich nicht sicher, ob sie die richtige Entscheidung traf.
Vielleicht sollte sie die Polizei rufen und berichten, was vorgefallen war? Von Ed und Cody. Dass sie bei lebendigem Leib halb aufgefressen worden und jetzt tot waren.
Eines Tages würde sie es vielleicht erzählen. Sie könnte sogar ein Buch darüber schreiben.
Aber nicht jetzt.
Jetzt wollte sie nur schnell wegfahren – unbedingt.
Sie fuhren nach Hause. Ließen den Wahnsinn hinter sich.
Grace hörte ihre Schwester erschrocken keuchen.
»Was ist los, Pix?«
Pix antwortete nicht. Sie starrte nur entsetzt auf ihre Hand, die offen in ihrem Schoß lag. Grace warf einen Blick darauf.
Sie sah ein kupferfarbenes Haarbüschel im Licht des Armaturenbretts leuchten.
Es waren Haare vom Kopf der Kreatur. Die Strähnen waren fast einen Meter lang. Pix musste sie vom Kopf der Mumie gerissen haben, als die Kreatur Cody angegriffen und sie sich auf ihren Rücken gestürzt hatte.
Verdammt, da waren sogar schwarze Fetzen Kopfhaut am Ende der Strähnen.
Grace kurbelte das Fenster herunter, schnappte sich die Haare aus Pix’ Hand und warf sie hinaus. Eine Sekunde lang flogen sie in den Luftverwirbelungen neben dem Wagen her.
Sie folgen uns …
Grace trat das Gaspedal durch. Im Spiegel sah sie das Haar durchs Mondlicht wirbeln, ehe es langsam hinab auf den Asphalt schwebte.
Als die letzte Spur des Dings aus ihrem Leben getilgt war, fuhr Grace langsamer. Sie sah hinüber zu Pix. Ihre Schwester saß mit geschlossenen Augen da, und eine Träne lief über ihre Wange.
Auch Graces Augen brannten. Sie strich mit den Fingerknöcheln darüber und spürte die Feuchtigkeit.
Ihnen würden noch eine Menge Tränen bevorstehen, das wusste sie. Aber sie würden es schaffen. Ganz bestimmt.
61
Es war ein langer Weg vom Canyon zurück zum Stadtrand, wo sich ihr Ziel befand. Amara ging immer weiter, unermüdlich, rastlos.
Die ganze Zeit über schien der Mond und sandte sein silbernes Licht durch Amaras leere Augenhöhlen. Wenn sie ihren Kopf auf diese raubtierhafte Art drehte, rauschte das lange Haar in Wellen über ihren Rücken.
Einmal folgte eine Wildkatze ihrem Geruch und schlich hinter ihr her. Näher, immer näher. Die menschliche Silhouette lief schnell und mit federnden rhythmischen Schritten. Die empfindliche Nase der Katze nahm ihren seltsamen Geruch noch stärker wahr. Die Gestalt roch anders, als die Katze es gewohnt war.
In diesem Moment wandte sich die Gestalt zu der Katze um. Ihr Haar wirbelte durch die Luft, eine Explosion aus brennendem Kupfer. Der Menschenkopf schnappte nach der Katze, die Lippen zogen sich zurück und entblößten Zähne, die nach geronnenem Blut rochen.
Die Wildkatze stieß einen Schrei aus. Sie drehte sich um und verschwand mit einem Satz im Unterholz.
Bald näherte sich die Mumie den hellen Lichtern von Gebäuden. Kurz bevor die Fahrspur endete, bog sie ab und kletterte über einen eingestürzten Zaun auf ein ungenutztes
Feld. Sie ging ruhig weiter und ließ sich von der wuchernden Vegetation nicht aufhalten.
Das Feld grenzte an einen verlassenen Parkplatz. Sie lief über den Asphalt zu dem Gebäude dahinter.
Amara kratzte an der Hintertür des Museums. Ihre Fingernägel hinterließen tiefe Rillen. Wie zufällig fand sie die Klinke und zog daran. Die Tür rührte sich nicht.
In der Ferne begannen Hunde zu heulen. Alle Tiere in der Nachbarschaft streckten ihre Schnauzen dem Mond entgegen. Kurz darauf war die Luft erfüllt vom unheimlichen Chor der jaulenden Hunde.
Amara zog ein weiteres Mal an der Tür. Dann taumelte sie vom Eingang weg und begann, im Kreis zu laufen. Ihre Bewegungen waren nun ziellos. Schwach.
Sie bahnte sich einen Weg in ein dicht bepflanztes Geranienbeet. Dort legte sie sich auf die
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