Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
ähnlich: Augenkontakt, ein Nicken Richtung Tanzfläche und dann das zuckende Gehoppel selbst. Hier und da tanzten auch zwei Frauen zusammen – mit hängenden Schultern und schweifenden Blicken. Außerdem gab es ein paar Männer, die allein tanzten. Jedes Mal wenn Clarke Sandra auf eines der Gesichter aufmerksam machte, sah diese sich den betreffenden Mann genau an und schüttelte dann den Kopf.
Eine Single-Party im Marina Club. Guter Name für einen Nachtclub, der gerade mal vier Kilometer von der Küste entfernt lag. Das Wort »Single-Party« hatte allerdings nicht viel zu bedeuten. Theoretisch bedeutete es, dass vor allem Musik aus den Achtziger- oder Siebzigerjahren hätte gespielt werden müssen, weil hier eine etwas andere Klientel angesprochen werden sollte als in den meisten anderen Clubs. Für Clarke war ein Single zwischen dreißig und vierzig und nicht selten schon geschieden. Doch hier in dem Schuppen waren auch Knaben vertreten, die wohl erst noch ihre Hausaufgaben gemacht hatten, bevor sie hier aufgekreuzt waren.
Oder wurde sie selbst langsam älter?
Sie war zum ersten Mal auf einer Single-Party. Um sich zu wappnen, spielte sie im Geist einige Standard-Gesprächssitua-tionen durch. Sollte zum Beispiel irgendein Schwachkopf auf die Idee kommen, sie zu fragen: »Und wie hast du deine Frühstückseier am liebsten?«, würde sie antworten: »Unbefruchtet«. Doch was sollte sie nur sagen, falls jemand sie nach ihrem Beruf fragte?
Ich bin Kriminalbeamtin klang nicht gerade wie die ideale Gesprächseröffnung, so viel wusste sie schon aus Erfahrung. Vielleicht war das ja der Grund, weshalb sie solche Situationen mied. Die Leute an ihrem Tisch wussten alle, wer sie war und was sie hier zu tun hatte. Keiner der Männer hatte versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Nur die Frauen hatten Sandra Carnegie getröstet und geherzt und den reichlich verunsicherten Männern böse Blicke zugeworfen. Klar: Auch die Typen, die mit am Tisch saßen, waren nur Männer. Und waren nicht letzten Endes alle Männer Schweine? Schließlich hatte ein Mann Sandra Carnegie vergewaltigt und aus der fröhlichen allein erziehenden Mutter eine leidende junge Frau gemacht.
Clarke hatte Sandra dazu überredet, den Dreckskerl zu jagen
– ja, genau so hatte sie sich ausgedrückt.»Wir müssen den Spieß einfach umdrehen, Sandra – finde ich jedenfalls…, bevor der Kerl so was noch mal macht.«
Der Kerl… Dabei waren es eigentlich zwei gewesen. Einer, der die junge Frau vergewaltigt hatte, und ein anderer, der sie festgehalten hatte. Als dann die Zeitungen über das Verbrechen berichteten, hatten sich zwei weitere Frauen gemeldet. Auch sie waren sexuell belästigt, jedoch im Sinne des Strafgesetzbuches nicht direkt vergewaltigt worden. Alle drei Frauen hatten fast die gleiche Geschichte erzählt. Alle drei gehörten einem Single-Club an. Alle drei waren an den betreffenden Abenden im Sin-gle-Club gewesen. Alle drei waren allein nach Hause gegangen.
Einer der beiden Männer war ihnen nachgegangen und hatte sie festgehalten, der andere hatte den Lieferwagen gefahren, der plötzlich neben ihnen aufkreuzte. Die Vergewaltigungen selbst hatten dann auf der Ladefläche des Lieferwagens stattgefunden, dessen Boden mit einer Art Plane bedeckt gewesen war. Hinterher hatten die Männer die Frauen – meist irgendwo am Stadtrand – einfach aus dem Wagen gestoßen und sie davor gewarnt, irgendetwas zu verraten oder zur Polizei zu gehen.
»Hast ja ohnehin nur bekommen, was du wolltest. Wieso gehst du sonst zu diesen Single-Partys?«
So hatte sich der Vergewaltiger von seinen Opfern verabschiedet. Immer wieder hatte Siobhan Clarke in ihrem winzigen Büro über diesen Ausspruch nachgedacht. Nur eines wusste sie genau: Der Verbrecher wurde von Mal zu Mal dreister. Am Anfang hatte er sich noch mit Tätlichkeiten begnügt, der nächste Schritt war dann eine Vergewaltigung gewesen. Wer wusste schon, was er als Nächstes tun würde? Eines war jedenfalls klar: Er hatte eine Vorliebe für Single-Clubs. Ob er seine Opfer beobachtete? Und woher bezog er seine Informationen?
Eigentlich arbeitete sie schon länger nicht mehr im Sittendezernat, sondern bei der Kripo in der St. Leonard's Street. Doch dann hatte man ihr den Fall Sandra Carnegie übertragen. Ihre Vorgesetzten hatten offenbar gehofft, dass es ihr gelingen würde, die junge Frau zu einem Besuch des Marina zu überreden. Seither hatte Siobhan immer wieder überlegt: Woher hat der Kerl
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