Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
geschmackvolle Bemerkungen über deren Vorzüge, sei es eine dicke Brieftasche oder die entsprechende Wölbung in der Hose. Sandra war in einer der Kabinen verschwunden. Clarke verschränkte die Arme und wartete. Plötzlich stand eine Frau vor ihr.
»Bist du hier für die Kondomausgabe zuständig?«
Einige Frauen in der Schlange lachten. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie vor dem Automaten stand. Sie trat einen Schritt beiseite, damit die Frau ein paar Münzen in den Geldschlitz werfen konnte, dabei inspizierte sie die rechte Hand der Frau. Leberflecken und faltige Haut. Die Frau zog mit der Linken an der Schublade. An ihrem Ringfinger war deutlich zu erkennen, dass sie ihren Ehering abgezogen hatte. Vermutlich hatte sie ihn in der Handtasche verstaut. Die Bräune ihres Gesichts stammte aus dem Solarium, und ihr Ausdruck war ebenso künstlich aufgekratzt wie resigniert. Sie zwinkerte Clarke zu.
»Man weiß ja nie.«
Clarke lächelte gezwungen. An ihrem Arbeitsplatz auf dem Revier hatten diese Single-Partys im Marina keinen guten Ruf. Jurassic Park nannten die Beamten die Veranstaltungen oder Oma-Abschleppen. Die üblichen Männerwitze. Sie selbst fand die Atmosphäre deprimierend, wusste aber selbst nicht genau, warum. Sie besuchte keine Nachtclubs, jedenfalls nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Schon als Schülerin und später Studentin hatte sie diese Orte gemieden. Zu laut, zu rauchig, zu viel Alkohol und Stumpfsinn. Doch das waren nicht die einzigen Gründe. Schon seit längerem war sie Anhängerin des Hiberni-an-Fußballclubs, und auch dort wurde auf den Tribünen kräftig geraucht und Testosteron produziert. Trotzdem gab es zwischen der Menschenmasse in einem Stadion und der Menge an einem Ort wie dem Marina einen Unterschied: Während eines Fußballspiels kamen die Männer wenigstens nicht auf die Idee, Frauen anzumachen. Deshalb fühlte sie sich in der Easter Road sicher. Ja, sie fuhr sogar zu Auswärtsspielen, wenn die Zeit es zuließ. Derselbe Platz bei jedem Heimspiel – sie kannte bereits die Gesichter der anderen Fans. Und nachher, nachher ließ sie sich in der anonymen Masse auf der Straße dahin treiben. Noch nie hatte jemand sie angemacht. Deshalb waren die Leute nicht gekommen, und sie wusste das und war richtig froh, wenn an kalten Winternachmittagen bereits beim Anstoß das Flutlicht aufflammte.
Der Riegel in der Kabine wurde zurückgeschoben, und Sandra trat heraus.
»Wird aber auch Zeit«, rief jemand. »Dachte schon, du bist mit 'nem Kerl in dem Kabuff.«
»Du meinst, um mir den Hintern daran abzuputzen?«, sagte Sandra. Sie gab sich zwar redlich Mühe, witzig zu klingen, aber ihre Stimme verriet ihren wahren Zustand. Sandra trat vor den Spiegel und schminkte sich nach. Sie hatte geweint. Kleine rote Äderchen waren in ihren Augenwinkeln zu erkennen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Clarke leise.
»Könnte noch schlimmer kommen.« Sandra inspizierte ihr Spiegelbild. »Vielleicht bin ich ja schwanger, wer weiß.«
Der Mann, der sie vergewaltigt hatte, hatte ein Kondom benutzt, also keine Samenspuren hinterlassen, mit denen das Labor etwas hätte anfangen können. Clarkes Kollegen hatten alle möglichen Sexualstraftäter gecheckt, mussten sie jedoch nach dem Verhör alle wieder laufen lassen. Sandra hatte sich die Fotobücher angesehen – eine ganze Galerie von Frauenhassern. In manchen Fällen brauchten die weiblichen Opfer bloß das Gesicht des Täters auf dem Foto wieder zu sehen, und schon waren ein paar weitere Horrortage und natürlich -nächte garantiert. Ungepflegte leere Gesichter, tote Augen, jämmerliche Gestalten. Clarke hatte immer wieder erlebt, dass die Opfer sich hinterher fragten: Wie konnte das nur passieren? Wieso hab ich mir das bloß von einem derart jämmerlichen Kerl gefallen lassen?
Ja, schwach wirkten diese Typen tatsächlich. Aber nur auf dem Foto, nur aus Erschöpfung oder weil sie sich von einer unterwürfigen Haltung was erhofften. Doch im entscheidenden Augenblick, jenem hassverzerrten Augenblick, da waren sie stark. Der zweite Mann, der Komplize… Siobhan wurde nicht schlau aus dem Burschen. Was hatte der denn von alledem gehabt?
»Und – haben Sie hier schon einen Kerl gesehen, der Ihnen gefällt?«, fragte Sandra. Ihr Lippenstift zitterte leicht, als sie sich jetzt die Lippen nachzog.
»Nein.«
»Und zu Hause wartet auch niemand auf Sie?«
»Sie wissen doch, dass es niemanden gibt.«
Sandra beobachtete sie im Spiegel. »Ich weiß nur, was Sie mir
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