Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
er ein Verfolgter des NS-Regimes - formulierte während einer Großveranstaltung des «Komitees gegen Atomrüstung» am 18. April 1958: «Was wir in diesen Monaten erleben, ist absurd. Während Rußland die Einstellung der Versuche und eine Kontrolle der Produktion anbietet und die Vereinigten Staaten laut erklären, ursprünglich hätten sie entsprechende Vorschläge machen wollen - während also die beiden Weltmächte, trotz allem Zögern, trotz aller Hintergedanken und trotz aller wirtschaftlichen Bedenken, den Kurs Volldampf voraus!) widerrufen möchten -, packt Westeuropa das wilde Fieber. [...] Man ist dabei, aus Europa ein Atom-Korea zu machen!» 58
Der öffentliche Druck führte im April 1958 zu einer erneuten, diesmal viertägigen Bundestagsdebatte über die Atombewaffnung der Bundeswehr. Die schon geplante Volksbefragung wurde allerdings vom Bundesverfassungsgericht verboten. Verhindern konnte der Protest die Einführung von Trägersystemen in der Bundeswehr nicht mehr. Mit der Indienststellung und dem alltäglichen Umgang mit den Waffen, die nun zunehmend auch auf den Straßen zu sehen waren, wurde auch der öffentliche Protest geringer. Schließlich zerfiel die Bewegung. Die großen Fragen, die mit der Atombewaffnung zusammenhingen, blieben allerdings weiterhin ungelöst: Vertraglich bestand für die Bundesrepublik (und natürlich auch für die DDR) keinerlei Möglichkeit, über den Einsatz der Waffen mit zu entscheiden. Immerhin erklärten sich die USA gegen Ende der Regierungszeit Adenauers 1962 bereit, zumindest die Bundesregierung zu konsultieren, falls man einen Einsatz erwäge. Bis zum Ende des Kalten Krieges blieben allerdings auch diese Mitsprachemodalitäten ungeklärt.
Kampf dem Atomtod und andere Oppositionsbewegungen bildeten ab 1960 den Auftakt zu den in der Bundesrepublik nach dem Vorbild der britischen Campaign for Nuclear Disarmament veranstalteten «Ostermärsche». Sie wurden bis weit über das Ende des Kalten Krieges hinaus fortgeführt - wenngleich mit stark schwankenden Teilnehmerzahlen. Auch hier engagierten sich weiterhin zahlreiche Intellektuelle, und auch die radikale Rhetorik blieb erhalten. In einer bitteren Rede zur Eröffnung des Ostermarsches 1960 vermerkte der bundesdeutsche Schriftsteller Stefan Andres, er halte «das Risiko des Kalten Krieges» sogar für «tausendmal größer» als die Gefahr, die von Hitler ausgegangen sei. 59 Die Märsche wurden zu einer der Brücken, die die Protestbewegung der fünfziger Jahre mit den Demonstrationen im letzten Drittel der sechziger Jahre verbanden. Auch die teilweise blockübergreifende «68er-Bewe-gung», die zunächst in den USA entstanden war, nahm wiederum zentrale Themen des Kalten Krieges auf. Dazu gehörten erneut die Rüstungsausgaben, nun aber insbesondere auch die Stellvertreterkriege der Supermächte in der Dritten Welt. 60 Neu war, daß sie auch die rassistische Dimension des Kalten Krieges, die sich in Teilen sowohl der Innen- als auch der Außenpolitik, vor allem aber auch in der Auswahl der Atomtestgebiete zeigte, außerhalb der betroffenen Gruppen thematisierte. 61
Das Erstaunliche an diesen neuen Protesten der späten sechziger Jahre war, daß sie mit einer demonstrativ-provokativen Durchbrechung oder sogar Umkehrung der traditionellen Freund- und Feindbilder des Kalten Krieges einhergehen konnten. Der tschechische Autor Vaclav Havel, später einer der Köpfe der Dissidentengruppe Charta 77 und der «sanften Revolution» in der CSSR 1989, konnte im Frühsommer 1968, kurz bevor in der Tschechoslowakei der Reformkommunismus niedergeschlagen wurde, sechs Wochen in New York verbringen, wo er unter anderem einen Preis der US-Zeitschrift Village Voice entgegennahm. 62 Drei Jahre zuvor war der US-Schriftsteller Allen Ginsberg, eine der zentralen Stimmen der sogenannten Beatgeneration, durch die CSSR gereist und vor allem in Prag begeistert begrüßt worden. Noch deutlicher war die politische Provokation, als die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung (Black Power, Black Panther, Black Muslim) demonstrativ den Kontakt zu Fidel Castros Kuba und Maos China suchte. Stokely Carmichael, einer der führenden Köpfe der Black Power- Bewegung, hielt im August 1967 eine Rede auf der ersten lateinamerikanischen Solidaritätskonferenz (OLAS) in Havanna. Sein Mitkämpfer Robert Williams aus der Bürgerrechtsbewegung NAACP reiste für längere
Zeit nach China. Ikonen der Protestbewegung im Westen waren neben dem 1967 in Bolivien
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