Der Kalte Kuss Des Todes
in persona vor meiner Türschwelle erscheinen würden. Eine reizende Aussicht.
»Wie viele?«, wiederholte Grace streng.
Wenn Grace etwas wollte, war sie ebenso schwer davon abzubringen wie ein Hund von seinem Knochen, also gab ich mich geschlagen. »Warte kurz.« Ich legte das Handy auf den Briefkasten und holte die Post aus meinem Fach. Verärgert schaute ich die Umschläge durch. Auf dem Ersten stand Genevieve Taylor, Bean Sidhe, in schwungvoller, rostroter Schrift. Ich hielt den Umschlag an meine Nase. Er roch ganz schwach nach Lakritz und Kupfer. Mir lief das Wasser im Mund zusammen – der Absender hatte die Tinte mit seinem eigenen Blut vermischt. Aber Vampire lassen keinen Trick aus, wenn es gilt, sich selbst zu promoten. Ohne auf das lästige Pochen meiner Halsschlagader zu achten, zählte ich die Umschläge. Dann griff ich zum Handy.
»Heute sind’s neun«, gestand ich.
»Zwei mehr als gestern!«, rief sie erschrocken. Ich hörte ein Klappern im Hintergrund: Sie klopfte mit ihrem Stift auf ihren Schreibtisch. »Das ist nicht gut.«
»Was du nicht sagst«, brummte ich. »Ich komme mir vor, als hätte ich ein riesiges Schild um den Hals: Sexy Sidhe – das Must-Have-Accessoire dieses Herbstes! Jeder Vampir sollte eine am Arm haben! Es wird nicht lange dauern, und sie stehen vorm Haus Schlange. Und dann werden die Hexen erst richtig ausflippen.«
Grace seufzte. »Apropos Hexen, hast du schon was vom Hexenrat gehört? Wird man dir wieder Schutz gewähren?«
»Glaube nicht, dass ich ganz oben auf ihrer Prioritätenliste stehe.« Ich legte die Einladungen auf den Briefkasten und kreuzte die Finger, was Grace zum Glück nicht sehen konnte.
»Warum dauert das so lange? Die hätten doch schon längst -«
Ich zuckte zusammen. Jetzt kam’s.
»Du hast gar keinen Antrag gestellt, stimmt’s?«, schimpfte sie. »Warum nicht, Genny? Und sag jetzt bloß nicht, dass es was mit Sidhe-Stolz oder etwas ähnlich Blödsinnigem zu tun hat.«
»Mit Stolz hat das nichts zu tun, Grace.« Ich zupfte an einem losen Faden meines Handtuchs und zog ihn heraus. »Es würde nichts bringen, das ist alles. Du weißt selbst, dass ich meinen Job bei Spellcrackers nur wegen des Mr.-Oktober-Fiaskos behalten durfte. Und es ist nicht nur der Job, es ist auch meine Wohnung.«
Ich brauchte die Erlaubnis oder wenigstens Duldung der Hexen, um weiter in Covent Garden leben zu können. Und ich lebte gerne dort.
»Ich kann schon von Glück reden, dass sie mich weiter hier wohnen lassen. Wer weiß, was passiert, wenn ich noch mehr verlange …« Außerdem würde mir, wenn es so weiterging, wahrscheinlich ohnehin bald gekündigt werden, aber das behielt ich für mich.
»Ich finde trotzdem, dass du zumindest fragen solltest, Genny«, sagte sie. »Dann könntest du dir wenigstens diese verrückte Idee aus dem Kopf schlagen, ein Arrangement mit diesem Vampir zu treffen …« Ihr Bürotelefon klingelte, und sie sagte: »Ich muss Schluss machen, Küsschen, Genny.«
Voll schuldbewusster Erleichterung darüber, dass ich diesem speziellen Thema noch einmal entkommen war, schob ich das Handy wieder in meine Hosentasche. Mein Blick fiel
missbilligend auf die Einladungen der Vamps. Ich nahm die erste nochmals zur Hand, drehte sie um und schaute mir die Rückseite an.
Der Umriss eines Kleeblatts war in das rote Wachssiegel gedrückt worden. Ich wusste daher, dass der Brief von Declan, dem Oberhaupt des Red Shamrock Clans, stammte, einem von vier Londoner Vampirsippen. Der hinterhältige irische Bastard wusste nie, wann man aufhören sollte. Rasch schaute ich mir auch die Siegel an den übrigen Umschlägen an.
Der, den ich fast ängstlich ersehnte, war nicht dabei.
Malik al Khan.
Der Vampir, mit dem ich ein »Arrangement« treffen wollte.
Seit fast einem Monat hatte ich nichts mehr von ihm gehört.
Und ich fragte mich allmählich, ob ich je wieder etwas von ihm hören würde.
Falls nicht, waren all die Diskussionen mit Grace über den Sinn eines solchen Arrangements überflüssig. Malik war der Einzige, der für mich in Betracht kam, um mein 3V-Problem auf die alte Art – ohne G-Zav – zu lösen. Ich traute keinem der anderen Vamps. Ihm zwar auch nicht, aber …
Ich zerriss die Umschläge und warf sie in den Behälter für Junkmail.
Ich wünschte nur, ich könnte die Vamps auch so leicht loswerden …
Ich machte die Augen zu und massierte meine Schläfen. Ich hatte Kopfschmerzen, eine Nebenwirkung der G-Zav-Tabletten. Die Dinger zu
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