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Der Kalte Kuss Des Todes

Der Kalte Kuss Des Todes

Titel: Der Kalte Kuss Des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne McLeod
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die Stimme, die am lautesten nach meinem Rausschmiss verlangte. Und nicht nur das, sie war bis zu ihrer Pensionierung ein einflussreiches Mitglied des Hexenrats gewesen, also nicht jemand, den man einfach ignorieren konnte.
    »Ich wüsste nicht, was ich angestellt hätte«, sagte ich diplomatisch.
    »Es geht nicht darum, was du angestellt hast oder nicht, Genny«, brummte er mürrisch. »Sie erwartet ihre Enkelin zu Besuch. Das Mädchen hat offenbar kürzlich ihren Job verloren und jetzt auch noch ihren Freund. Ist ein bisschen geknickt. Hexe Wilcox möchte nicht, dass ihre Enkelin in ihrem
derzeitigen verletzlichen Zustand ausgerechnet einer Sidhe über den Weg läuft« – er tippte auf meinen Briefkasten -, »vor allem nicht einer Sidhe, die von Vampir-Fanpost überschwemmt wird.«
    Zur Hölle mit der Diplomatie!
    »Was glaubt sie denn, was ich tun würde? Ihre Enkelin in einen Vamp-Nachtclub verschleppen und sie zwingen, sich beißen zu lassen, bloß weil mir die Vamps ein paar Liebesbriefe schicken?« Ich schnaubte. »Ich meine, selbst wenn ich so abgrundtief blöd wäre, ihre Enkelin ist eine Hexe, und kein Vampirclub, der nicht seine Lizenz verlieren will, würde sie über die Türschwelle lassen.«
    »Das weiß ich, Genny, und sie sollte das auch wissen.« Er kratzte sich heftig am Arm. Dicke Erdklumpen lösten sich und fielen klatschend auf die Marmorfliesen. »Ich hab versucht, sie an den alten Pakt zu erinnern und ihr begreiflich zu machen, dass kein Vampir in ganz England es wagen würde, ihr oder ihrer Enkelin etwas anzutun, aber das wollte sie nicht hören.«
    Dieser Pakt war nicht nur alt, sondern uralt. Er ging zurück ins vierzehnte Jahrhundert, als es zu einem Aufeinandertreffen von Hexen und Vampiren mit einer von der Kirche sanktionierten Hexenjäger-Miliz kam. Die Null-Toleranz-Politik der Jäger gegenüber allem, was zaubern oder irgendwie hexen konnte, kannte keine Unterschiede zwischen Hexen und Vampiren. Im Angesicht dieses gemeinsamen, übermächtigen Feindes hatten die Hexen und Vampire einen Pakt geschlossen: Leben und leben lassen. Und dieser Pakt gilt bis heute.
    Natürlich neigen die Hexen heutzutage dazu, zu vergessen, wer sie davor bewahrt hat, gemartert und auf dem Scheiterhaufen zu Chips geröstet zu werden. Die Vampire dagegen haben ein längeres Gedächtnis und eine längere Lebensspanne –
dank der Gabe der Transformation , womit die Verwandlung eines Menschen in einen Vampir gemeint ist , gibt es heute noch einige, die damals dabei gewesen waren. Auch haben die Vamps einen ausgeprägten Ehrbegriff – sie stehen gewöhnlich zu ihrem Wort. Daher sind Hexen oder jene, die unter ihrem Schutz stehen – wozu ich bis vor einem Monat selbst noch gehört hatte -, die Letzten, die auf dem Tisch eines Vampir-Dinners landen würden, anstatt am Tisch zu sitzen.
    Was die Hexen zu meinem Pech jedoch nicht davon abhält, paranoid zu sein.
    »Das wollte ich dir bloß sagen, Genny.« Von Mr. Travers’ Schädel stieg eine besorgte beigebraune Staubwolke auf. »Tut mir echt leid, du bist eine gute Mieterin.« Seine Brauen senkten sich mitfühlend. »Aber wenn sie ihre Beschwerde weiter nach oben trägt, kann ich nichts mehr machen.«
    »Ich weiß, dann liegt sie in den Händen des Hexenrats.« Ich tätschelte ihm tröstend den Arm, was ich allerdings bereute, denn dabei löste sich ein dicker Lehmklumpen, und seine Haut schaute wund und nass darunter hervor. Der feuchte, erdige Geruch intensivierte sich, und ich musste an mich halten, um nicht zu husten.
    »Hoffen wir, dass der Rat sie nicht zu ernst nimmt«, sagte ich, sobald ich wieder reden konnte.
    »Ich werde trotzdem ein gutes Wort für dich einlegen, Genny.« Er steckte die Hand in die Tasche seines beigen Samtkittels und holte eine Spitztüte hervor, die er mir, gleichsam als Entschuldigung, anbot. »Butterkiesel?«
    Ich nahm mir einen, weil ich nicht unhöflich sein wollte. »Danke«, sagte ich lächelnd, »den hebe ich mir für später auf.« Viel später. Oder besser gesagt, nie, denn ich halte nicht viel davon, mir die Zähne zu brechen. »Und danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben. Ich versuche, das mit den Vampirbriefen irgendwie zu lösen.«

    Sein Mund teilte sich zu einem Lächeln, und ich konnte seine abgewetzten beigen Zähne sehen.
    »Äh, ich dachte … hm, ja, ich wollte dich was fragen, Genny.« Er blickte verlegen zu Boden und scharrte mit seinen schiefertafelgroßen Zehen einen Haufen Erde zusammen. »Wenn du nichts

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