Der Kalte Kuss Des Todes
grauen Wappenröcke mit dem roten Kreuz der Kreuzritter waren im Schein der Dachlaterne gut zu erkennen. Flüchtig fragte ich mich, was sie noch hier suchten und warum sie sich nicht längst in die U-Bahn zurückgezogen hatten, ihren bevorzugten Aufenthaltsort bei schlechtem Wetter; schließlich hatte es keinen Zweck, die Menschheit vor Vampiren, Hexen und allem Magischen – was mich und den Rest von Londons Fae mit einschloss – zu bewahren, wenn niemand da war, dem man die Heilsbotschaft verkünden konnte.
Ich beachtete sie nicht länger und suchte stattdessen die Kirche nach etwas ab, das Cosette erschreckt haben könnte. Die Seitentore standen weit offen und gaben den Blick auf den kleinen, zugewachsenen Friedhof frei, der hinter der Kathedrale lag. Da war ein Fleck, ein Schatten, der sich fast unmerklich von seiner Umgebung abhob. Ich konzentrierte mich darauf …
»Ja wen haben wir denn da? Wenn das nicht die Vampir-Schlampe ist!«, höhnte eine gehässige, nur allzu vertraute Stimme. »Wartest wohl auf deinen Blutsauger-Zuhälter, wie?«
Ich wandte mich langsam zu der Stimme um und musterte mein Gegenüber kühl. Sie stand feixend unter einem riesigen schwarzen Regenschirm. Ihre lockigen braunen Haare ähnelten in der feuchten Luft mehr denn je einem Wischmopp. Die dunkelblaue Security-Uniform, die sie trug, spannte sich über ihr pralles Fleisch. Sie sah darin aus wie das Michelin-Männchen.
Ex-Police-Constable Janet Sims.
Das »Ex« war ihre Schuld: Sie hatte sich in einen Berufskollegen, einen guten Freund von mir, verguckt und aus Eifersucht einen Notruf von mir nicht weitergeleitet. Das war ihre Entscheidung gewesen, aber natürlich gab sie mir die Schuld daran, dass man sie rausgeworfen hatte. Pech für mich war nur, dass sie diesen Job bei Covent Garden Security gefunden hatte und mir nun »zufällig« jeden Tag auf die Zehen stieg.
»Nö, sie wartet auf die Paparazzi, stimmt’s?«
Janet Sidekick, eine üppige Wasserstoffblondine, formte mit den Händen einen imaginären Fotoapparat und tat, als ob sie mich knipste. »Hiiier ist das Vögelchen, Ms Taylor!«, kreischte sie, dann zog sie eine Schnute. »Aber die Paps haben das Interesse an dir verloren, Genevieve . Keiner schert sich mehr einen Dreck um dich. Und keiner will eine Sidhe-Schlampe
hier haben, also warum verziehst du dich mit deinen orangen Katzenaugen nicht zu deinen Blutsaugern, nach Sucker Town, wo du hingehörst?«
Ich seufzte. Seit mein Bild zusammen mit dem – jetzt Gott sei Dank glücklich gestorbenen – Oberguru-Vamp in den Zeitungen erschienen war, hatte ich mehr Ärger, als ich mir je hätte vorstellen können. Trotzdem, Dick und Dick hier waren ein kleines – wenn auch aufgrund des riesigen Schirms ärgerlicherweise trockenes – Problem, obwohl sie mit fast mehr Eifer nach meinem metaphorischen Blut lechzten als die Vamps. Ich war bis jetzt ruhig geblieben, hatte mich nicht von ihnen provozieren lassen, aber …
»Tut mir leid, aber ich kann nicht ewig hier herumstehen und mit euch plaudern«, erklärte ich zuckersüß, »ich hab ein heißes Date mit einem sexy Satyr.«
Leider war der Satyr bloß mein Boss, und das heiße Date war Arbeit, aber was macht man nicht alles, wenn man’s mit zwei Harpyien zu tun hat, die mehr Ähnlichkeit mit zwei gemästeten Thanksgiving-Truthähnen haben. Das monstergrüne Aufglühen ihrer Augen nahm ich mit einem zufriedenen Schmunzeln wahr und wandte mich ab, um weiterzujoggen. Auf ihr gehässiges Gemurmel achtete ich nicht.
Als ich den Platz überquert hatte und um die Ecke biegen wollte, warf ich einen letzten Blick zu den beiden zurück. Ich konzentrierte jenen Teil von mir, der Magie sehen kann, auf ihren Schirm. Und richtig: Ein Sturmauge-Zauber hing wie ein Strudel über dem schwarzen Monsterschirm und hüllte die beiden Gestalten in einen fettigen Schimmer.
Ich zögerte. Alles, was ich tun musste, war, die Hand auszustrecken und den Zauber herbeizurufen . Der Wind würde Wischmopp den riesigen Schirm aus der Hand reißen, und die beiden würden im prasselnden Regen stehen wie die sprichwörtlichen nassen Ratten. Um der Versuchung zu
widerstehen, machte ich eine Faust. Nein, sagte ich mir, du lässt dich nicht auf ihr Niveau herab. Das war ihr Gestichel nicht wert. Natürlich waren Worte nur so lange harmlos, als sie nicht mit einem Zauberspruch behaftet waren – aber Janet und ihr Sidekick waren keine Hexen, sie waren lediglich Töchter von Hexen. Ihre Väter waren
Weitere Kostenlose Bücher