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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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süß die durchwürzte Luft der Felder; noch schlägt vierzig Jahre lang im ausgebrannten Gehäuse das vereinsamte Herz, aber nur ein Schatten seines Wesens geistert hin durch die Zeit. Hölderlin, der heilige Jüngling, ist längst entrückt von den Göttern in die Wolken, wie Iphigenia auf Aulis. Er lebt in anderen Gefilden mit seinem gesteigerten Leben.
    Was aber auf den trüben Wassern der Zeit noch vierzig Jahre lang unbewußt hinschwimmt, ist seine geistige Leiche nur, jenes entstaltete gespenstige Schattenbild, das sich, unkund seiner selbst, manchmal »der Herr Bibliothekarius« nennt und manchmal »Scardanelli«.
    Purpurne Finsternis
    Zwar
Es leuchten
    auch im Dunkel blühende Bilder.
    Die großen orphischen Gedichte, die der geistig Geblendete in jenen Jahren der Dämmerung und der Dunkelheit schafft, seine »Nachtgesänge«, gehören zu den unerhörtesten Gebilden der Weltliteratur, vergleichbar in ihrer und aller Zeit vielleicht nur jenen prophetischen Büchern William Blakes, jenes anderen Himmelskindes und Gottvertrauten, den seine Zeitgenossen gleichfalls einen »unfortunate lunatic« nannten, »whose personal inoffensiveness secures him from confinement«. Hier
    wie dort ist Schaffen ein magisches Bilden nach dämonischem Diktat, hier wie dort horcht ein kindlich unklarer Sinn über die offenbare Bedeutung des Wortes nach dem orphischen Urlaut. Dichtung (und bei Blake auch Zeichnung) wird im Dämmerzustand des Herzens zur Pythik: wie die Priesterin, trunken von unerhörten Gesichten über den gestaltenden Dämpfen der delphischen Schlucht, Worte jener Tiefe in zuckenden Krämpfen stammelt, so wirft hier der gestaltende Dämon aus einem erloschenen Krater des Geistes feurige Lava und funkelndes Gestein. In diesen dämonischen Gedichten Hölderlins redet nicht die irdische Verständigung, die Nutzsprache, die Menschenrede mehr. In eine apokalyptische Sphäre ist der Seher gestellt:
    Tal und Ströme sind
Weit offen um prophetische Berge,
Daß schauen mag bis in den Orient
Der Mann und ihn von dort der Wandlungen viele bewegen.
Vom Äther aber fällt
Das treue Bild, und Göttersprüche regnen
Unzählbar von ihm, und es tönt im innersten Haine.
    Aus Traumrede ist melodisches Verkünden geworden, »Tönen vom innersten Haine«, Stimme vom Jenseits, Wille über dem eigenen Willen: nicht mehr Sprecher und Täter ist hier der Dichter, sondern nur unbewußter Bote der Urworte. Der Dämon, der Urwille hat übergewaltig dem müd gewordenenGeist das Wort und den Willen entrissen. Der wache Mensch, der einstige Friedrich Hölderlin, ist fort, »nicht mehr dabei«: gleich einer leeren Larve bedient sich der Dämon seiner unwissenden Gestalt.
    Denn diese Nachtgesänge, diese abgerissenen seherisch-improvisatorischen Fragmente des Halbwahnsinnigen, sie stammen nicht mehr aus der irdisch umleuchteten Sphäre der Kunst, aus dem Kommensurablen: sie sind meteorisches Metall und voll der magischen Mächte ihres außerirdischen Ursprungs. Jedes wahre Gedicht stellt sonst gleichsam ein Gewebe aus unbewußtem und bewußtem Kunstverstande dar, bald ist der eine Einschlag, bald der andere stärker durchwoben: durchaus typisch ergibt sich im normalen Wesensgang (etwa bei Goethe) die Erscheinung, daß im Alter der Reife der technische Einschuß, der irdische also, den inspirativen überwiegt, daß sich Kunst, ursprünglich ein wissendes Ahnen, in eine weise Meisterschaft verwandelt. Bei dem Hölderlinschen Gedicht dagegen verstärkt sich im Gegenteil immer der inspirative, der dämonische, der genial improvisierende Einschlag, indes die intellektuelle, die kunstfertige, die planende Webkette vollkommen abreißt. Die Zeilen fluten quer übereinander, einzig dem Klange nachrauschend; jeder Damm, jede Zäsur, jede Form wird überströmt von dem Schwall der Musik. Denn der Rhythmus ist schon selbstherrlich geworden, die Urmacht strömt ins Unendliche zurück. Manchmal spürt man noch bei Hölderlin, dem von sich selbst Hinweggezogenen, eine Art Gegenwehr gegen diese Übermacht, man merkt, wie er sich müht, einen einzelnen dichterischen Einfall festzuhalten, ihn gesteigert fortzubilden. Aber immer reißt ihm die bildernde Woge das Halbgestaltete fort, und er stöhnt:
    Ach, wir kennen uns wenig,
Denn es waltet ein Gott in uns.
    Immer mehr verliert der Unmächtige das Steuer seiner Dichtung. »Wie Bäche reißt das Ende von Etwas mich hinweg, das sich wie Asien ausdehnt«, sagt er von der Übermacht, die ihn von sich selbst wegzieht

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