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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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schwermütig-wilde, von göttlicher Gestalt. Wenn sonst bei dichterischen Gestalten das Dämonische durchbricht, ist die Flamme meist dunkel getrübt vom Fusel des Alkohols (Grabbe, Günther, Verlaine, Marlowe) oder vermengt mit demschwelenden Weihrauch der Selbstbetäubung (Byron, Lenau): Hölderlins Trunkenheit aber ist rein und sein Hingang darum nicht Untergang, sondern heroische Rückflut in Unendlichkeit. Hölderlins Sprache vergeht im Rhythmus, sein Geist in großer Vision: er löst sich auf in sein eigenstes urtümliches Element. Noch sein Sinken ist Musik, sein Vergehen Gesang: gleich dem Euphorion, dem Symbol der Dichtung im »Faust«, dem tragischen Sohn deutschen und griechischen Geistes, stürzt nur das Zerstörbare, das Körperliche seines Wesens hinab ins Dunkel der Vernichtung. Die Leier aber schwebt silbern empor und steigt zu den Sternen.
    Scardanelli
    Der aber ist ferne, nicht mehr dabei,
Irr ging er nun, denn allzugut sind
Genien: himmlisch Gespräch ist sein nun.
    Vierzig Jahre lang ist der irdische Hölderlin fortgetragen von der Wolke des Wahnsinns; was unterdessen auf Erden von ihm weilt, ist sein armes alterndes Schattenbild Scardanelli: denn so und nur so schreibt seine unbeholfene Hand unter die wirren Blätter mit Versen. Er hat sich selber vergessen und die Welt ihn.
    In fremdem Haus bei dem braven Tischlermeister wohnt dieser Scardanelli bis tief ins neue Jahrhundert hinein. Ungerührt streicht die Zeit um das dämmernde Haupt, und endlich bleicht von ihrer blassen Berührung das einstens blondwallende Haar. Außen formt sich die Welt in Sturz und Wandel: Napoleon bricht ein in Deutschland und wird wieder vertrieben, von Rußland jagen sie ihn bis Elba und Sankt Helena, dort lebt er wie ein gefangener Prometheus noch zehn Jahre, stirbt und wird Legende – der Einsame in Tübingen weiß es nicht, der doch einst den »Helden von Arcole« besungen. Schiller, der Herr seiner Jugend, wird nachts von Handwerkern zur Grube gesenkt, sein Gebein modert Jahre und Jahre, dann sprengt sich die Gruft, Goethe hält den Totenschädel des geliebten Freundes sinnend in Händen, aber der »himmlische Gefangene« versteht nicht mehr das Wort Tod. Dann geht jener selber hinweg, derdreiundachtzigjährige Weise von Weimar geht in den Tod nach Beethoven und Kleist und Novalis und Schubert; ja Waiblinger selbst, der als Student Scardanelli oft in seiner Zelle besuchte, wird eingesargt, indes jener noch »sein Schlangenleben« führt. Ein neues Geschlecht ersteht, Hölderlins verschollene Söhne, Hyperion und Empedokles, wandeln endlich geliebt und erkannt durch deutsches Land – aber kein Laut, keine Ahnung davon dringt in des Tübingers geistige Gruft. Er ist ganz jenseits aller Zeit, ganz im Ewigen, in Rhythmus und Melodie ertrunken.
    Manchmal kommt ein Fremder, ein Neugieriger, den sagenhaft Verschollenen zu sehen. Am alten Stadtturm von Tübingen klebt ein kleines Häuschen, und oben im Erker, der vergittertes Fenster, aber freien Blick hat in die Landschaft, ist Scardanellis schmales Gelaß. Die braven Tischlersleute geleiten den Besucher hinauf zu einer kleinen Tür: hinter ihr hört man sprechen, aber niemand ist innen als der Kranke, der unaufhörlich in gehobener Sprache vor sich hin summt. Wie Psalmodieren läuft dieser wirre Sprudel von Worten ohne Form und Sinn ihm lose vom Munde. Manchmal setzt sich auch der Verworrene ans Klavier und spielt stundenlang; aber er findet keine Folge mehr, es wird keine Fülle von Tönen, sondern ein totes Harmonisieren, eine beharrliche fanatische Wiederholung derselben armen kurzen Melodie (und gespenstisch klappern die wildgewachsenen Fingernägel über die verstimmten Tasten). Immer aber ist es ein Tönen, ein Rhythmus, in dem der Verstoßene des Geistes weilt: wie bei der Äolsharfe der klingende Wind durch abgeschnittenes gehöhltes Rohr, zieht hier
    durch das ausgekohlte Gehirn noch der ewige Klang des Elements.
    Endlich, von leisem Grauen bewegt, klopft der Horchende an die Tür: ein dumpfes, aufgescheuchtes und wahrhaft erschrockenes »Herein« antwortet. Eine hagere Gestalt, ein E.T.A. Hoffmannscher Kanzlist steht inmitten im kleinen Gemach, die zarte Figur nur wenig vom Alter gebeugt, obwohl das Haar schon weiß und dünn über die schön geschwungene Stirn fällt. Fünfzig Jahre Leiden und Einsamkeit haben den Adel des einstigen Jünglings nicht ganz zu zerstören vermocht; noch schneidet, nur geschärft an der Schneide der Zeit, die Linie rein die

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