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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Silhouette von den zart gewölbten Schläfen zum herben Mund und geballten Kinn. Manchmal reißen die Nerven mitjähem Ruck quer durch das gequälte Gesicht: durch den ganzen Körper bis in die knöchernen Fingerspitzen zuckt dann der elektrische Schlag. Aber entsetzlich unbewegt bleibt dabei das einst so schwärmerische Auge: grauenhaft stumm und blicklos wie eines Blinden ruht seine Pupille stumpf unter den Lidern. Doch irgendwo glüht und flackert noch Wissen und Leben in diesem geisternden Schatten: schon bückt sich dienerisch und übertrieben mit unzähligen Verbeugungen und Reverenzen wie vor unermeßlich hohem Besuch der arme Scardanelli. Ein Strom devoter Ansprachen »Eure Hoheit! Eure Heiligkeit! Eure Eminenz! Eure Majestät!« gurgelt erregt aus den beflissenen Lippen, und mit erdrückender Höflichkeit geleitet er den Gast zum ehrfürchtig hingeschobenen Stuhl. Ein wirkliches Gespräch kommt kaum in Gang, denn der Fahrige und Verwirrte vermag nicht einen Gedanken festzuhalten und logisch zu entwickeln; je krampfiger er sich bemüht, die Ideen zu ordnen, um so mehr verknäulen sich ihm die Worte zu einem dumpfen Sprudeln stammeriger Laute, die nicht mehr der deutschen Sprache angehören, sondern barocke, phantastische Lautgebilde sind. Einzelne Fragen versteht er noch mühsam, noch dämmert im verdunkelten Gehirn ein Schatten von Helligkeit, wenn man Schiller nennt oder sonst eine vergangene Gestalt anruft. Spricht aber ein Unvorsichtiger den Namen Hölderlins aus, so wird Scardanelli zornig und losfahrend. Allmählich wird der Kranke im verlängerten Gespräch unruhig und nervös, weil die Anstrengung des Denkens und die Qual der Zusammenfassung zu groß ist für sein ermüdetes Gehirn: so läßt ihn der Besucher, von Bücklingen und Reverenzen erschüttert, zur Türe begleitet.
    Aber seltsam: in dem vollkommen Umnachteten, den man nicht mehr ins Freie lassen darf (weil die geistige Elite Deutschlands, die Herren Studenten, den Unglücklichen verhöhnen und durch Bierulk zu rabiatem Ausbruch treiben), in dieser ausgebrannten Asche eines eingestürzten Geistes bleibt ein Funke noch glühend bis zum letzten Tag: die Dichtung. Nur sie allein überlebt, symbolisch genug, den geistigen Untergang. Scardanelli dichtet, wie das Kind Hölderlin gedichtet haben mag. Stundenlang schreibt er ganze Bogen mit Versen und einer phantastischen Prosa voll – Mörike, der sie achtlos vertan, erzählt, man habe ihm diese Manuskripte »in Waschkörben zugetragen« –; und wenn ein Besucher ihn um einGedenkblatt bittet, so setzt er sich ohne Zögern hin und schreibt mit sicherer Hand (auch die Schrift ist unberührt von der Zerstörung) ganz nach Wunsch Verse über die Jahreszeiten oder Griechenland oder ein »Geistiges« hin, wie etwa dies:
    Als wie der Tag die Menschen hell umscheinet
Und mit dem Lichte, das den Höhn entspringet,
Die dämmernden Erscheinungen vereinet,
Ist Wissen, welches tief der Geistigkeit gelinget.
    Darunter schreibt er dann ein abstruses Datum (im Realen verläßt ihn sofort die Vernunft) und »mit Untertänigkeit Scardanelli«.
    Diese Gedichte des erloschenen Wachsinns, diese Verse Scardanellis sind nun vollkommen von jenen der geistigen Dämmerung, der purpurnen Finsternis, von den schwellenden Oden der »Nachtgesänge« verschieden: in ihnen vollzieht sich eine geheimnisvolle Rückbildung zu den Anfängen. Keines von ihnen ist frei rhythmisch wie jene Hymnen an der Schwelle der Dunkelheit, alle kurzen Atems im Gegensatz zu jenen breiten rauschenden Strömen. Es ist, als ob der Ermüdbare und geistig Schwankende sich fürchtete, in freier Ode hinab in den reißenden Katarakt des Rhythmus zu stürzen; so hält er sich am Reim wie an einer Krücke. Keines von diesen Gedichten ist vernünftig im Sinne der Klarheit und keines gänzlich sinnlos; sie sind nicht mehr Form, sondern nur Klangform, irgendeinem Vagen der Bedeutung, das er nicht logisch mehr festzuhalten vermag, lyrisch nachgesprochen. Aber immerhin, diese Wahnsinnsgedichte Scardanellis sind doch noch Gedichte, indes jene der anderen Geisteskranken, etwa jene Lenaus aus der Winnenthaler Anstalt, ganz leer dem bloßen Klangreim nachtorkeln (»Die Schwaben, sie traben, traben, traben«). Noch wölben sich wolkig und undurchsichtig Vergleiche, noch wird erschütternd oft der Seelenzustand in einem Aufschrei wahr wie in jenem unvergleichlichen Vierzeiler:
    Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen.
Der Jugend Freuden sind wie lang! wie lang!

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