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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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gibt
Ein finstres Geschlecht, das weder einen Halbgott
Gern hört oder wenn mit Menschen ein Himmlisches oder
In Wogen erscheint, gestaltlos, oder das Angesicht
Des Reinen ehrt, des nahen
    Allgegenwärtigen Gottes.
    Noch immer, mit dreißig Jahren, ist er Freischlucker an fremdem Tisch, der Lektionsgeber im verschabten schwarzen Kandidatenrock, noch immer hängt er der alternden Mutter, der uralten Großmutter in der Tasche, noch immer wie in Knabenzeit stricken sie ihm Strümpfe und versorgen den Hilflosen mit Wäsche und Kleidung
    . Mit »täglichem Fleiße« hat er nun in Homburg wie einst in Jena nochmals versucht, von den ersparten Groschen eine dichterische Existenz (die einzig ihm gemäße!) sich zu erhungern und die »Aufmerksamkeit meines deutschen Vaterlandes so weit zu verdienen, daß die Menschen nach meinem Geburtsort und meiner Mutter fragen«. Aber nichts vollendet sich, nichts fördert ihn: noch immer nimmt Schiller mit herablassender Protektion ein Gedicht in den Almanach und sperrt sich den andern. Und dieses Schweigen der Welt bricht allmählich seinen Mut. Zwar weiß er in tiefster Seele, »das Heilige bleibt immer heilig, wenn es die Menschen auch nicht achten«, aber es wird immer schwerer, die Weltgläubigkeit zu bewahren, wenn sie keine Mitteilsamkeit findet. »Unser Herz hält die Liebe zur Menschheit nicht aus, wenn es nicht Menschen hat, die es liebt.« Seine Einsamkeit, lange seine sonnige Burg, verwintert und wird starr wie Eis. »Ich schweige und schweige, und so häuft sich eine Last auf mir ... die den Sinn wenigstens unwiderstehlich mir verfinstern muß«, stöhnt er auf, und ein andermal in einem Briefe an Schiller: »Ich friere und starre in den Winter, der mich umgibt. So eisern mein Himmel, so steinern bin ich.« Aber niemand bringt ihm Wärme in seine Einsamkeit, »es sind so wenige, die noch Glauben an mich haben«, klagt er resigniert, und allmählich verliert sogar er selbst den Glauben an sich. Sinnlos erscheint ihm, was ihm das Heiligste, die Urmission seines Lebens seit Kindertagen gewesen, er beginnt an der Dichtung zu zweifeln. Die Freunde sind fern, die Stimme, die ersehnte, des Ruhmes schweigt.
    Indessen dünket mir öfters
Besser, zu schlafen, wie so ohne Genossen zu sein,
So zu harren und was zu tun indes und zu sagen
Weiß ich nicht und wozu Dichter in dürftiger Zeit?
    Noch einmal hat er die Unmacht des Geistes gegen die stählerne Wirklichkeit erfahren, noch einmal beugt er die müdgedrückte Schulter ins Joch und verkauft sich noch einmal »ins abseitige Leben« hinein, da es unmöglich für ihn ist, »bloß von der Schriftstellerei zu leben, wenn man nicht gar zu dienstbar hierin sein will«. Eine selige Herbststunde bloß darf er die geliebte Heimat wiedersehen, mit Freunden in Stuttgart die »Herbstfeier« begehen. Dann aber nimmt er wieder den abgeschabten Magisterfrack und wandert als Hauslehrer hinaus in die Schweiz nach Hauptwyl, in die Knechtschaft des Tages.
    Hölderlins prophetisches Herz weiß genau um das Sinken der Sonne, um die eigene Dämmerung und den nahenden Untergang. Wehmütig hat er von der Jugend Abschied genommen. – »Endlich, Jugend, verglühst du ja« – und die Abendkühle weht schaurig durch sein Gedicht.
    Wenig lebt ich. Doch atmet kalt
Mein Abend schon. Und stille, den Schatten gleich
Bin ich schon hier; und schon gesanglos,
Schlummert das schaudernde Herz im Busen.
    Die Schwinge ist gebrochen, und er, der nur im Fluge, im dichterischen Aufschwung wahrhaft lebt, findet sein Gleichgewicht nicht mehr. Nun muß er es bezahlen, »nicht bloß mit der Oberfläche des Wesens beschäftigt« gewesen zu sein, sondern »die ganze Seele, sei es in Liebe, sei es in Arbeit, der zerstörenden Wirklichkeit ausgesetzt zu haben«. Das Strahlende, die Aureole des Genius ist von seiner Stirn gewichen, er drückt sich ängstlich in sich selber hinein, um sich vor den Menschen zu verbergen, deren Umgang ihm fast physisch peinlich ist. Je schwächer die Kraft in ihm wird, sich zusammenzuhalten, um so stärker springt aus den Nerven der zuckende Dämon. Allmählich wird Hölderlins Sensibilität krankhaft, seine seelischen Aufschwünge zu körperlichem Ausbruch. Jede Kleinigkeit kann ihn reizbar machen und die geflissentliche Demut, die er wie einen Panzer schützend um sich getan, zerbrechen,überall meint der Überempfindsame und Zurückgestoßene »Beleidigungen, Druck der Verachtung« zu erfahren. Auch der Körper reagiert mit Abspannungen und

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