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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Ausbrüchen schärfer auf jede atmosphärische Veränderung: was ursprünglich nur ein »heiliges Ungenügen« des Geistes war, wird neurasthenische Unlust des ganzen Wesens, Krise und Katastrophe der Nerven. Immer fahriger werden seine Gebärden, immer sprunghafter seine Stimmungen, und schon beginnt das einst so klare Auge unruhig über den eingefallenen Wangen zu flackern. Unaufhaltsam breitet sich der Brand über sein ganzes Wesen hin aus, der Dämon gewinnt immer mehr Macht über sein Opfer, er wird zu »einer betäubenden Unruhe«, die sich »um sein Inneres häuft« – nun jagt er ihn von einem Extrem ins andere, von Heiß zu Kalt, von Ekstase zu Verzweiflung, von silbernem Gottgefühl zur schwärzesten Schwermut, von Land zu Land, von Stadt zu Stadt. Die fiebrige Irritation zuckt von den Nerven hinüber in die Gedanken: schließlich greift die Entzündung bis ins Dichterische über, das Unstete des Menschen wird in der Inkohärenz des Dichters immer erkenntlicher, in der Unfähigkeit, bei einem einzelnen Gedanken zu verweilen und ihn logisch zu entwickeln. Auch hier jagt er wie dort von Haus zu Haus, fiebrig weiter von Bild zu Bild, von Idee zu Idee. Und dieser dämonische Brand beruhigt sich nicht eher, bis das ganze Innere Hölderlins ausgebrannt und nichts mehr bleibt als das geschwärzte Gerüst seines Körpers.
    So gibt es in der Pathologie Hölderlins keinen deutlich markierten Zusammenbruch, keine scharfe Grenzlinie von geistig gesund und geistig erkrankt. Hölderlin brennt ganz allmählich innen aus, die dämonische Macht verzehrt seine wache Vernunft nicht plötzlich wie ein Waldbrand, sondern wie ersticktes kohlendes Feuer. Nur ein Teil, eben der göttliche seines Wesens und der dem Dichterischen am meisten verbundene, widersteht wie Asbest: sein dichterischer Tiefsinn überlebt den Wahnsinn, die Melodie die Logik, der Rhythmus das Wort: so ist Hölderlin vielleicht der einzige klinische Fall, wo die Dichtung die Vernunft überdauert und absolut Vollendetes im Zustand der Zerstörung entsteht – wie manchmal (ganz selten) auch in der Natur ein vom Blitz getroffener und bis in die Wurzeln verkohlter Baum von dem höchsten unberührten Aste aus noch lange weiterblüht. Hölderlins Übergang ins Pathologische ist vollkommen stufenhaft, nicht wie bei Nietzscheder plötzliche Einsturz eines ungeheuren, bis in die Himmel des Geistes erhobenen Baues, sondern gleichsam ein Abbröckeln, Stein um Stein, ein Lösen des Fundaments, ein allmähliches Ins-Bodenlose-, Ins-Unbewußte-Sinken. Es akzentuieren sich nur in seinem äußeren Gehaben gewisse Erscheinungen der Unruhe, und diese Krisen werden immer vehementer und folgen einander in immer kürzeren Ausbrüchen: während er in seinen früheren Stellungen Monate, selbst Jahre verweilen konnte, werden die Entladungen jetzt rascher. Indes in Waltershausen und Frankfurt noch Jahre, vermag sich Hölderlin in Hauptwyl und Bordeaux nur wenige Wochen zu halten, seine Lebensuntüchtigkeit wird immer hemmungsloser und aggressiver: wieder wirft das Leben ihn wie ein Wrack in das Haus der Mutter, seinen ewigen Strand nach allen Fahrten. Da reckt in letzter Verzweiflung der Schiffbrüchige die Hand nach dem Schicksalsformer seiner Jugend, noch einmal schreibt er an Schiller. Aber Schiller antwortet nicht mehr, er läßt ihn fallen, und wie ein Stein stürzt der Verlassene in die Tiefe seines Geschicks. Noch einmal wandert er, der Unerziehbare, in die Ferne hinaus, Kinder zu erziehen, aber freudlos, ein Todgeweihter, nimmt er den letzten Abschied voraus.
    Und nun sinkt ein Schleier über sein Leben: Geschichte wird hier zur Mythe und sein Schicksal Legende. Noch weiß man, daß er durch Frankreich »in schönem Frühling gewandert«, und »auf den gefürchteten überschneiten Höhen der Auvergne, in Sturm und Wildnis, in eiskalter Nacht und die geladene Pistole neben mir im rauhen Bette« (wie er schreibt) genächtigt, man weiß, daß er nach Bordeaux zu jener Familie des deutschen Konsuls gelangt und plötzlich jenes Haus verlassen hat. Aber dann sinkt die Wolke nieder und verschattet seinen Untergang. Ist er jener Fremdling gewesen, von dem Jahrzehnte später eine Frau in Paris erzählte, daß sie ihn eintreten sah in ihren Park und in freudigster Begeisterung mit den marmorkalten Göttergestalten Zwiesprache halten? Ist es wahr, daß bei der Rückwanderung ein Sonnenstich ihm die Sinne geraubt und »das Feuer, das gewaltige Element ihn ergriffen«, daß also, wie er

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