Sturm der Verfuehrung
1
Februar 1833
Nordwestlich von Combe Horey, Somerset
Er musste heiraten, also würde er es tun.
Aber zu seinen Bedingungen.
Diese Worte hallten im Rhythmus des Hufschlags durch Charlie Morwellans Kopf, während sein Pferd ihn in leichtem Galopp nordwärts trug. Die Winterluft war frisch und klar. Um ihn wellten sich die immergrünen Ausläufer des Westhangs der Quantock Hills. Er war in dieser Gegend geboren, auf Morwellan Park, das jetzt eine Meile hinter ihm lag, aber heute hatte er kein Auge für die arkadische Landschaft, denn seine Gedanken waren auf andere Bilder konzentriert.
Er war der Herr und Gebieter über das Land zwischen den Quantock Hills im Osten und dem Westende der Brendon Hills. Seine Ländereien dehnten sich südlich vom Herrenhaus bis zum Land seines Schwagers Gabriel Cynster. Die Nordgrenze lag vor ihm, verlief auf einer Anhöhe. Als sein grauscheckiger Hunter Storm die Erhebung erklommen hatte, zügelte Charlie ihn und blickte geradeaus, jedoch ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
Kalte Luft strich über seine Wangen, während er im Geist den Grund für diesen Ritt durchdachte - zum letzten Mal.
Er hatte vor drei Jahren nach dem Tod seines Vaters Grafenwürde und Grafschaft geerbt. Davor und auch seitdem hatte er alle Versuche, ihn in den Hafen der Ehe zu locken, geschickt abgewehrt. Natürlich war ein vermögender, lediger, über dreißigjähriger Earl für jede Heiratsvermittlerin ein begehrtes Objekt, doch nach zehn Jahren kannte er all ihre Tricks und machte sich einen Spaß daraus, ihren Netzen immer wieder zu entwischen.
Aber letztendlich gab es für Lord Charles Morwellan, achter Earl of Meredith, keine Wahl.
Das aber war nicht der Grund für seine Entscheidung.
Vor nahezu zwei Jahren hatten seine engsten Freunde, Gerrard Debbington und Dillon Caxton, geheiratet. Keiner von beiden hatte nach einer Ehefrau Ausschau gehalten, keiner von beiden hatte die familiäre Pflicht, heiraten zu müssen, das Schicksal hatte seine Fäden gesponnen, und beide waren glücklich zum Altar geschritten. Charlie hatte neben ihnen gestanden und gesehen, dass sie es richtig gemacht hatten, den günstigen Augenblick wahrzunehmen.
Inzwischen waren die beiden Väter.
Storm wurde unruhig. Geistesabwesend tätschelte Charlie seinem Hunter den Hals.
Durch verwandtschaftliche Beziehungen mit dem mächtigen Cynster-Clan verbunden, hatten Gerrard und Dillon und ihre Ehefrauen, Jacqueline und Priscilla, sich wie jedes Jahr nach Weihnachten auf Somersham Place getroffen, dem Hauptwohnsitz der Dukes of St. Ives und Stammsitz der Cynsters. Die große Familie und ihre weit verzweigte Verwandtschaft trafen sich zweimal jährlich dort, einmal zum sogenannten Sommerfest im August, dann wieder direkt nach Weihnachten, nachdem jeder das Fest selbst im Kreise der eigenen Familie gefeiert hatte.
Er hatte die überströmend herzliche Atmosphäre dieser Familienzusammenkünfte immer genossen, doch diesmal ... es waren nicht Gerrards und Dillons Kinder an sich gewesen, die eine irritierende Unruhe in ihm auslösten, sondern das, was sie repräsentierten. Von ihnen dreien - Freunde seit über einem Jahrzehnt - war er der Einzige, der die Pflicht hatte, zu heiraten und einen Erben zu zeugen. Zwar könnte er es theoretisch seinem jetzt dreiundzwanzigjährigen Bruder Jeremy überlassen, für die nächste Morwellan-Generation zu sorgen, aber was Pflicht und Schuldigkeit seiner Familie gegenüber anlangte, hatte er bereits vor langer Zeit akzeptiert, dass er nicht zum Drückeberger geboren war. Eine der bedeutenderen Pflichten und Bürden eines Earls würde er nie Jeremy auferlegen, das würden weder sein Gewissen noch sein Charakter, sein Selbstbild, zulassen.
Und deshalb war er heute auf dem Weg nach Conningham Manor.
Das Schicksal weiterhin herauszufordern, das Risiko, dass es in sein Leben eingriff, ihm eine Frau aussuchte, wie die Schicksalsgöttinnen es bei Gerrard und Dillon getan hatten, war töricht. Also hatte er beschlossen, sich selbst eine Ehefrau zu wählen, und das jetzt, vor dem Beginn der nächsten Ball- und Partysaison, sein Vorrecht auszunutzen, eine Lady, die zu ihm passte, auszusuchen, und die Angelegenheit zu erledigen, ehe die Gesellschaft davon Wind bekäme.
Ehe das Schicksal die Chance hatte, sein Vorhaben durch Liebe zu vereiteln.
Er musste schnell handeln, um die Kontrolle über sein Leben zu behalten, was er für eine Notwendigkeit hielt, nicht für eine Option.
Angesteckt von der Nervosität
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