Der Kampf mit dem Dämon
»Penthesilea«, im »Guiskard«, in der »Hermannsschlacht« war übersteigernd groß immer nur ein Trieb – leidenschaftlich und voll Stoßkraft zum Unendlichenhin – in das Werk gefahren, hier aber ist nicht Einzeltrieb, sondern die ganze verwirrte Triebwelt zur Welt verwirklicht. Druck und Gegendruck statt gegeneinander ruckweise ziehend, zu Widerwirkung und Schwebe gebracht. Und was ist Schwebe der Kräfte anders als die höchste Harmonie?
Die Kunst kennt keinen schöneren Augenblick, als wenn sie das Übermäßige in seinem Ebenmaß zeigen darf, in jener sphärisch tönenden Sekunde, da einen Wimperschlag lang die Dissonanz sich löst in eine urselige Harmonie: je furchtbarer die Entzweiung, um so machtvoller dieser Ineinandersturz, um so brausender der Einklang der stürzenden Ströme. Kleistens »Homburg« hat wie kein zweites deutsches Drama diese Herrlichkeit äußerster Entspannung: der zerstörteste Dichter gibt (eine Spanne kaum vor seiner Selbstvernichtung) der Nation die vollendetste Tragödie, so wie Hölderlin eine Stunde vor der letzten Dunkelheit seine welthaft tönende orphische Hymnik, wie Nietzsche vor dem Zerschellen des Geistes noch die höchste geistige Trunkenheit, das tanzende, diamantensprühende Wort. Diese Magie des Untergangsgefühls ist jenseits allen Erläuterns, unerklärbar herrlich schön wie das letzte Hochaufspringen der schon blau geduckten Flamme vor dem Erlöschen.
Im »Homburg« hat Kleist den Dämon für einen Augenblick gebändigt, indem er ihn ganz von sich in sein Werk stieß. Diesmal hat er nicht wie sonst – in der »Penthesilea«, im »Guiskard«, in der »Hermannsschlacht« – nur einen Kopf der Hydra abgeschlagen, die ihn erdrückend umschlingt, hier faßt er sie an der Kehle und reißt sie ganz hinüber in Gestaltung. Und hier erst spürt man seine Kraft, weil sie nicht ins Leere strömt, sondern weil hier Kraft gegen Gegenkraft ringend steht. In diesem Drama verdunstet kein Atom des inneren Aufschwalls, hier ist Flut und Damm, Strömung und Wehr gleich mächtig. Kleist hat sich erlöst, indem er nicht aus sich ausfährt, sondern indem er sich verdoppelt: das Gegensätzliche hat die zerstörende Kraft verloren, weil er nicht mehr (wie früher) dem einen oder andern Trieb Freilauf und Übermacht läßt. Das Antinomische seiner Natur ist ihm im Werke klargeworden. Alle Klarheit aber schafft Erkennen, und Erkenntnis wieder Versöhnung. Der Leidenschaftliche und der Zuchtvolle in seiner Seele halten inne in ihrem Kampf und sehen sich in die Augen: die Zucht (der Kurfürst, der Homburgals Sieger in der Kirche ausrufen läßt) ehrt den Leidenschaftlichen, der Leidenschaftliche (Homburg, der sein eigenes Todesurteil fordert) ehrt die Norm. Beide erkennen sich als Teil urewiger Macht, die Unruhe fordert um der Bewegung, Zucht um der heiligen Ordnung willen, und indem Kleist seinen irdischen Gegensatz aus der verdunkelten Brust reißt und unter die Sterne stellt, löst er zum erstenmal seine Einsamkeit und wird Mitschöpfer der Welt.
Und magisch flutet alles, was er je versucht und gewollt hat, in gereinigteren, erhobeneren Formen heran, alles beschwichtigt von diesem Gefühl letzter Verbundenheit und Versöhnung. Alle Leidenschaften seiner dreißig Jahre sind plötzlich gestaltet da, aber nicht mehr herrscherisch und übertreibend, sondern gesänftigt und geklärt. Guiskards toll aufgereckter Ehrgeiz hat eines Jünglings reine tatselige Feurigkeit in dem jungen Helden Homburg gewonnen, der mordgierige, keulenschwingende, barbarische Patriotismus der »Hermannsschlacht« ist gemildert und vermännlicht zu einem wortlos-ernsten Vaterlandsgefühl, Kohlhaasens Rechthaberei und juridischer Starrsinn vermenschlicht zu klarer Wahrung des Gesetzes in der Gestalt des Kurfürsten, der Zauberapparat des Käthchens blaut nur wie ein süßer Mondschein über der sommerlichen Gartenszene, wo der Tod wie ein Duft vom Jenseits herweht, und Penthesileas Brünstigkeit, die aufgeraste Lebensgier verebbt zu still sehnsüchtigem Gefühl. Zum erstenmal schwellt durch ein Werk Kleistens ein ganz verborgener Ton von Güte, ein Hauch von milder Menschlichkeit und von Verstehen: auch diese letzte Saite, die silberne, an die er nie gerührt, nun klagt sie die düstere Melodie harfend hinein. Alles ist plötzlich versammelt, was einen Menschen bewegt, und wie man von Sterbenden erzählt, daß in ihren letzten Minuten ihr ganzes Leben gedrängt wiederkehre, so rauscht die ganze Vergangenheit,
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