Der Kampf mit dem Dämon
zehnmal den Tod erleiden, als noch einmal wieder erleben«, schreibt er verzweifelt, »was ich das letztemal in Frankfurt an der Mittagstafel empfunden habe.« Er ist ausgestoßen von den Seinen, zurückgestoßen insich selbst, in die Hölle seiner eigenen Brust: mit verdüsterter Seele, beschämt und erniedrigt bis unter die Haut, taumelt er nach Berlin zurück. Ein paar Monate schleicht er in abgetragenen Schuhen und defekten Kleidern dort herum, petitioniert in den Ämtern um ein Amt, bietet (vergeblich) seinen Roman, seinen »Homburg«, seine »Hermannsschlacht« den Buchhändlern an, verdüstert seine Freunde mit seinem Anblick: schließlich wird alles seiner müde, so wie er alles Suchens müde ist. »Meine Seele ist so wund«, klagt er erschütternd in jenen Tagen, »daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir daraufschimmert.« Alle seine Leidenschaften sind zu Ende, alle Kraft vertan, alle Hoffnung verbraucht, denn:
Machtlos schlägt sein Ruf an jedes Ohr,
Und wie er flatternd das Panier der Zeiten
Sich weiterpflanzen sieht von Tor zu Tor,
Schließt er sein Lied; er wünscht mit ihm zu enden
Und legt die Leier tränend aus den Händen.
Da in diesem ungeheuersten Schweigen, das jemals (vielleicht nur bei Nietzsche) um einen Genius stand – rührt eine dunkle Stimme an sein Herz, ein Ruf, der ihn immer sein ganzes Leben lang in den Augenblicken der Entmutigung, der Verzweiflung angeklungen: der Todesgedanke. Von frühester Jugend begleitet ihn diese Idee des Freitodes, und so wie er, ein halber Knabe noch, sich einen Lebensplan gefertigt, so war auch der Todesplan längst vorgedacht: immer wird der Gedanke mächtig in den Stunden der Unmacht, dann taucht er wie ein dunkler Fels, wenn die Flut der Leidenschaft, der aufgischtende Schwall der Hoffnung zurückebbt, in seiner Seele auf. Nicht zu zählen sind in Kleistens Briefen und Begegnungen diese fast brünstigen Schreie nach dem Ende, ja man könnte fast die Paradoxie wagen, zu sagen: er konnte das Leben überhaupt nur dadurch so lange ertragen, daß er stündlich bereit war, es wegzuwerfen. Immer will er sterben, und wenn er so lange zögert, ist es nicht aus Furcht, sondern aus dem Übertreiblichen, aus dem Exzessiven seiner Natur, denn auch den Tod will Kleist in Riesenmaßen, in einer Exaltation, einem Überschwang: er will nicht klein, nicht erbärmlich, nicht feige sich töten, er begehrt, wie er in jenem Briefe an Ulrike schreibt, »einen herrlichen Tod« –selbst dieser finsterste, abgründigste Gedanke hat bei Kleist noch eine Lustbetonung, eine rauschhafte Wollüstigkeit. Er will sich in den Tod stürzen wie in ein ungeheures Brautbett, und in merkwürdigster Verschränkung träumt er sich den Tod als zweiseligen Untergang. Irgendeine Urangst – er hat sie unsterblich gemacht in der Szene des Prinzen von Homburg – läßt ihn, den Einsamsten, fürchten, diese Einsamkeit des Lebens noch durch die ganze Ewigkeit des Todes weiterzutragen: so bietet er, von Kindheit an, jedem, den er liebt, mit höchster Ekstase an, mit ihm zu sterben. Der Liebesbedürfigste des Lebens sehnt sich nach einem Liebestod. In der irdischen Existenz konnte keine Frau seinem Übermaß genügen, keine Schritt halten mit seinem fanatischen Fortrasen in eine Ekstatik des Gefühls, keine, nicht die Braut, nicht Ulrike, nicht Marie von Kleist können mit in die Siedehitze seiner Forderungen; nur der Tod, der Superlativ, der nicht mehr zu Überbietende, vermag einem Kleistischen Liebesbedürfnis – Penthesilea hat seine Gluten verraten – genügen. So ist nur die Frau, die mit ihm sterben will, die dieses äußerste, nicht mehr zu übersteigernde Gefühl aufbringt, die einzige, die er ersehnt, und ihm »ihr Grab lieber ist als die Betten aller Kaiserinnen der Welt« (wie er in seinem Todesbrief aufjubelt). So bietet er, fast aufdringlich, allen, die ihm teuer sind, seine Gefolgschaft an für den Sturz ins Dunkel. Karoline von Schiller (die ihm fast fremd war) erklärt er sich bereit, »sie und mich zu erschießen«, und seinen Freund Rühle lockt er mit schmeichelnden leidenschaftlichen Worten: »Der Gedanke will mir nicht aus dem Kopf, daß wir noch einmal zusammen etwas tun müssen komm, laß uns etwas Gutes tun und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind und noch sterben werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer in das andere gehen.« Wie immer bei Kleist, wird der Gedanke, der
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