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Der Kampf mit dem Dämon

Der Kampf mit dem Dämon

Titel: Der Kampf mit dem Dämon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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das scheinbar falsch gelebte Leben an dieses letzte Werk heran: alle Fehler, alle Irrtümer, alle Versäumnisse, alles was sinnlos und vergeblich schien, bekommt in dieser Gestaltung mit einmal einen Sinn. Die Kantische Philosophie, mit der sich der Zwanzigjährige das Herz zerquält, die ihn als »Lebensplan« fast erstickte – jetzt formuliert sie dem Kurfürsten die Worte und steigert die bloß monarchische Gestalt ins Geistige. Die Kadettenjahre, die militärische Erziehung, tausendmal verflucht – nun ersteht siein dem prachtvollen Fresko der Armee, diesem Hymnus auf die Solidarität der Gemeinschaft. All dem er sich entrungen, die Tradition, die Zucht, die Zeit, nun steht es wie ein Himmel über seinem Werk, zum erstenmal schafft er aus einer innern Heimat, aus der Blutbestimmtheit seines Wesens. Zum erstenmal ist die Luft entschwült, die Spannungen nicht mehr quälend und nervenvibrierend, zum erstenmal rollen die Verse klar, zwängen und drängen sich nicht, zum erstenmal ertönt Musik. Die Geisterwelt, sonst dämonischer Aufschwall der Tiefe, schwebt nur wie eine Dämmerung über dem irdischen Spiel, ein Klang von der Süße der letzten Shakespeareschen Dramen, jenes heiteren Erkennens und Erlösens, senkt den Vorhang über eine harmonische Welt.
    Der »Prinz von Homburg« ist Kleistens wahrstes Drama, weil es sein ganzes Leben enthält. Alle Überkreuzungen und Überschneidungen seines Wesens sind darin, die Lebensliebe und die Todesnot, die Zucht und der Überschwang, das Ererbte und das Erlernte: nur hier, wo er sich ganz erschöpft, wird er ganz wahr über sein eigenes Wissen hinaus. Darum auch dieser geheimnisvoll prophetische Klang in der Sterbeszene, der Rausch des Freitodes, die Angst vor dem Schicksal – vorausgedichtete Stunden seines Todes und gleichzeitig Zurückleben des ganzen früheren Lebens. Nur Todgeweihte haben dieses höchste Wissen, diesen Doppelblick ins Vergangene und Zukünftige, nur der »Homburg« und der »Empedokles« von allen deutschen Dramen schenken uns diese geisterhafte Musik, die schon selbst wie ein Überklang ins Unendliche ist. Denn nur letzte Not vermag die Seele ganz aufzuschmelzen, nur die reinste Resignation die Sphäre zu erreichen, wo die Leidenschaft sich längst ermüdet; was es dem Gierigen und seinem zornigen Ansprang beharrlich versagte, schenkt Kleisten das Schicksal gerade in jener Stunde, da er nichts mehr erhofft: die Vollendung.
    Todesleidenschaft
    Das Äußerste, das Menschenkräfte leisten,
Hab ich getan – Unmöglichstes versucht.
Mein alles hab ich an den Wurf gesetzt. Der Würfel,
der entscheidet, liegt, er liegt. Begreifen muß
ichs – und, daß ich verlor.
    Penthesilea
    Auf der höchsten Höhe seiner Kunst, im Jahr des »Homburg«, erreicht Kleist verhängnisvollerweise auch die höchste Stufe seiner Einsamkeit. Nie war er weltvergessener, zielverlorener in seiner Zeit, in seiner Heimat: das Amt hat er weggeworfen, seine Zeitschrift ist ihm verboten worden, seine innere Mission, Preußen an die Seite Österreichs in den Krieg zu reißen, bleibt vergeblich. Sein Urfeind Napoleon hält Europa als gedemütigte Beute in Händen, der König von Preußen wird sein Verbündeter, nachdem er sein Vasall geworden ist, Kleistens Stücke wandern unerledigt von Bühne zu Bühne, werden verhöhnt vom Publikum oder vom Direktor lässig abgetan, seine Bücher finden
    keinen Verleger, er selbst nicht das niederste Amt; Goethe hat sich von ihm abgewandt, die andern kennen ihn kaum und achten ihn nicht, die Protektoren haben ihn fallenlassen, die Freunde ihn vergessen: als letzte verläßt ihn noch die Treueste, die einst so »pyladisch gesinnte Schwester« Ulrike. Jede Karte, auf die er gesetzt, ist verloren, und die letzte, die höchste, die er noch in Händen hat, das Manuskript seines Meisterwerkes »Prinz Friedrich von Homburg«, kann er nicht mehr ausspielen: er sitzt an niemandes Tisch mehr, und keiner traut seinem Einsatz. Da versucht er es noch einmal, aus monatelanger Verschollenheit auftauchend, mit der Familie: noch einmal fährt er hinüber nach Frankfurt an der Oder zu den Seinen, sich die Seele zu letzen an einer Handvoll Liebe, aber sie streuen ihm Salz in die Wunden und Galle auf die Lippen. Jene Mittagsstunde im Kreise der Kleiste, die auf den entlassenen Beamten, den verkrachten Zeitungsherausgeber, den mißglückten Dramatiker wie auf einen ihrer Familie Unwürdigen hochmütig herabblicken, bricht ihm das Rückgrat: »Wollte ich doch lieber

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