Der Kandidat [microform] : Komödie in vier Aufzügen nach Flaubert
Tagen
finde ich morgens im Garten an den Spalieren einen Brief, großes Kuvert mit der Aufschrift; „Für Sie.** Selbstverständlich mache ich ihn auf, lese eine blöd-sinnige Liebeserklärung in Versen. Ohne Unterschrift.
SEIDENSCHNUR: An wen?
RUSSEK:
Mein erster Verdacht geht auf Miß Evelyn, oWohl sie blond ist, und in den Versen von schwarzen Haaren die Rede ist.
„In der Haare nächtigem Dunkel hängt des Himmels Sterngefunkel."
Oder so ähnlich; denn wie oft setzt man in Gedichten des Reimes wegen einen Begriff für den andern. All-mählich aber wird mir aus verschiedenen Umständen klar, meine Tochter Luise ist die angeschmachtete Dame.
SEIDENSCHNUR:
Und wodurch wird Bachs Täterschaft bewiesen?
RUSSEK:
Erstens ist er der einzige, der in der Gegend notorisch dichtet, und weiter — schlagend — ist die Handschrift des Gedichtes und die auf diesem Kreuzband die gleiche. Da haben Sie Ihren Schützling. Ein Mitgiftjäger, un-verschämter Habenichts!
SEIDENSCHNUR:
Auch andere sind hinter Ihrer Tochter her, weil sie Geld hat. Man lebt hochadelig und elend auf den heruntergekommenen Gütern seiner Vorfahren. Sie sind mit Grundschulden überlastet, die Erde ausgesogen. Da bleibt der Sohn und seine reiche Heirat die Rettung.
Es gibt einen wohlhabenden bürgerlichen Nachbar, über den man sich zwar lustig macht . . .
RUSSEK: Wer sagt das?
SEIDENSCHNUR:
Die Dienstboten. Meine Haushälterin hat es von der Rheydtschen Köchin. Sie sprechen von dieser Verbin-dung als von einer abgemachten Tatsache. Bedenken der etwas skeptischen Gräfin wurden von dem alten Grafen mit der Entgegnung abgelehnt: Der Kerl wird sich bis in die Knochen geehrt fühlen!
RUSSEK: So, bis in die Knochen?
SEIDENSCHNUR:
Man ist durchaus sicher.
RUSSEK:
Geehrt! Dicht vor meiner Wahl zum Abgeordneten. Sie werden sich täuschen.
DIENER tritt auf: GrafRhcydt!
Exit,
SEIDENSCHNUR: Ich verschwinde.
SIEBENTER AUFTRITT
Graf Euoald Rheydt tritt auf
SEIDENSCHNUR geht grußlos an ihm vorbei und droht
von hinten mit der Faust:
Dir werde ich eine Nuß zu knacken geben!
Exit,
GRAF RHEYDT:
Die Unterredung, die ich von Ihnen erbat, hat den Zweck — kurz — unter uns bedarf es keiner Um-stände: Ich komme, im voraus Ihrer Einwilligung gewiß — Sie im Namen meines Sohnes Franz Achim Gaspard Grafen von Rhcydt um die Hand Ihrer Tochter Luise zu bitten.
Nach einem Augenblick: Sie sagten?
RUSSEK: Bis jetzt nichts.
GRAF:
Ich vergaß; es ist bestimmte Aussicht vorhanden, eine Pension fiir ihn als Mitgift... Notar Dettmichel, der Verwalter der Papiere, wird nicht verfehlen . . .
Da Russek schweigt: So reden Sie doch!
RUSSEK:
Selbstverständlich fiihle ich mich hochgeehrt, Graf; aber ...
GRAF: Was aber?
RUSSEK:
Man wird Ihnen mein Vermögen übertrieben haben.
GRAF:
Glauben Sie vielleicht, die Grafen Rheydt . . .
RUSSEK:
Der Gedanke liegt mir fern. Trotzdem bin ich nicht so reich, wie man annimmt.
GRAF: Der Unterschied wird gering sein.
RUSSEK:
Mit einem bedeutenden Einkommen leben wir auf großem Fuß. Meine Frau hat kostspielige Liebhabereien. Ich ließ die Straße zwischen Hohenstechow und Prinitz auf meine Kosten bauen, die neue Schule wurde aus meinen Mitteln errichtet . . .
GRAF: Das ist bekannt, Herr!
RUSSEK:
Obwohl ehemals Bankier und Sohn eines solchen, bin ich nicht, was man ein Mitglied der Haute financc nennt.
GRAF: Wenn auch.
RUSSEK: -^
Die Abkunft des Grafen Achim würde kein Hindernis sein, wohl aber — Ihr Sohn hat keinen Beruf
GRAF: Ein Edelmann weiß die Waffen zu führen.
RUSSEK:
Gut, er weiß. Aber er ist nicht Soldat. Ich ziehe es vor, meine Tochter einem Mann zu geben, dessen Besitz sogar noch geringer ist . . .
GRAF: Hören Sie auf: ohne Vermögen!
RUSSEK:
Doch, Graf Einem Mann, der arbeitet, einem Prole-tarier sogar ...
GRAF:
Das heißt die gute Getmrt verachten!
RUSSEK: Jawohl. Schließlich bin ich ein Kind des Volkes.
GRAF; Das verraten Ihre Manieren.
RUSSEK: Vom Klang eines Namens lasse ich mich nicht bluffen*
GRAF: Und wir uns nicht vom Klappern des Geldes.
RUSSEK: Man beugt sich nicht mehr vor dem Adel.
GRAF:
Es scheint so. Ihr Großvater war Bedienter in unserm Hause.
RUSSEK:
Wollen Sie mich beschimpfen, Herr? Der gute Ruf ist heutzutage ein ganz persönliches Verdienst. Das meine ist über Ihre Anpöbelung erhaben. Erwarteten mich nicht die Honoratioren, die mir die konservative Kan-didatur anbieten . . .
GRAF:
Mir zuerst hat man sie angetragen, aber mit
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