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Der Kannibalenclan

Der Kannibalenclan

Titel: Der Kannibalenclan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaques Buval
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das Ziel meiner Besuche. Ob mir das bei dieser Frau gelungen ist, wage ich zu bezweifeln. Ihre Schale ist sehr hart, und daher ist es sehr schwer, ihre Gefühle zu ergründen, ja zu verstehen, warum Sie bei all diesen schrecklichen Taten mitgemacht oder sie auch nur geduldet hat. Man erschrickt über die Ruhe, die diese Frau umgibt, die Stille ihrer Seele, das Unnahbare. Der Schrecken ihrer Taten umhüllt sie wie ein schwarzer Mantel. Auf diesem steinigen Weg zur Hölle Mensch begegnet einem die tiefste Finsternis.
    Alle Mächte der Finsternis tun sich auf und versuchen einen zu verschlingen. In meinem Beruf stoße ich sehr oft an die Grenzen des Vorstellbaren, doch dieser Fall hat alle Grenzen gesprengt.
    Wenn Sie mehr über diese Frau erfahren wollen, müssen Sie sich bis zur Hauptverhandlung gedulden. Da hören Sie dann wohl, wie ich über diesen Menschen denke.«
    Wie man es auch anstellt, er duldet keine Fragen mehr. Er bleibt freundlich und zuvorkommend, aber man merkt ihm an, er will sich entspannen, loskommen von diesen Dingen, die seine Seele belasten.
    »Wollen wir nicht einen Wodka trinken gehen?«
    »In Ordnung, ein Glas geht, aber bitte keine Fragen zu Frau Spesiwtsew, okay?«

    »Natürlich.«
    Der Herr Professor ist sichtlich froh über die Einladung.
    Durch enge Straßen fährt er das Auto zielstrebig zu einem kleinen Cafe, das eindeutig zu den besseren der Stadt zählt.
    Gerade hat die Tür geöffnet, da hört man schon die Willkommensgrüße. Lässig hebt er die Hand, und obwohl das Lokal bis auf den letzten Platz voll besetzt ist, werden am besten Tisch zwei Stühle frei gemacht. Ein illustrer Kreis empfängt die neuen Gäste. Wie immer mit einem gefüllten Glas Wodka, das der Herr Professor, vergnügt allen zuprostend, zum Munde führt.
    »Na sdrowie«, ruft er den Freunden zu und sieht seinen Gast von der Seite mit einem Ausdruck der Skepsis an. »Hier können Sie die Seele Sibiriens studieren, hier sind Sie alle, die Revoluzzer der Geschichte und die, die es gern sein möchten, die intellektuellen Studenten, die Kommunisten, Fanatiker –
    halt alle, die intelligent genug sind, ihre Meinung frei zu äußern.«
    Als er voller Stolz erzählt, dass sein Gast aus Westeuropa kommt, wird es seltsam ruhig im Lokal. Einer der Gäste fragt, vorsichtig auf den Professor blickend: »Was will ein Europäer in dieser gottverlassenen Gegend?«
    »Den Herrn Professor kennen lernen«, ist die feste Antwort des Psychiaters, und dabei muss er herzhaft lachen.
    Es bedarf vieler Erklärungen, bis sich die überaus freundlichen, aber doch skeptischen Leute mit den Erklärungen des angesehenen Psychiaters zufrieden geben. Schon bald merke ich, dass ich nicht der Einzige bin, den interessiert, was der Herr Professor im Falle Spesiwtsew zu berichten weiß.
    Die Aufklärung dieser Tragödie um den Kannibalen Sascha Spesiwtsew hat Einblicke in die tiefsten Abgründe des Menschen eröffnet. Niemand hier kann verstehen, warum diese Kannibalenfamilie so lange unbehelligt bleiben konnte. Und warum ist die Aufklärung des Falles so schleppend vorangegangen?
    Normalerweise führen die Spuren in ähnlich gelagerten Fällen immer wieder zu den Einflussreichen dieser Stadt, und meistens versickern sie auch dort. Das ist alltäglich geworden, es kümmert kaum jemanden. Doch dieser Fall ist einer der Grauen erregendsten, von denen die Bevölkerung je gehört hat.
    Man hat wohl gelesen, dass es solche Vorkommnisse in Sibirien geben soll, aber in der eigenen Stadt, das hätte wohl niemand geglaubt.
    Die Freunde des Professors stellen nur immer wieder eine Frage: Was gibt es Neues in diesem Fall, der die ganze Stadt in Atem hält? Der Professor lächelt seinen Gast an, als wollte er sagen, nun bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig, als unsere Vereinbarung zu brechen und doch darüber zu erzählen.
    »Ich war heute zum letzten Mal bei Saschas Mutter, bevor ich mein Gutachten über sie schreiben werde. Ich habe keine Lust, mich hier und heute über das Unfassbare auszubreiten.
    Sie ist dem Bösen schlechthin gleichzusetzen, mit allen Facetten des Grauens. Lange genug hat diese Frau ihre Angel ausgeworfen nach den unschuldigen Mädchen und sich in perversen Wonnen gesuhlt. Die Mädchen machte sie ihrem Sohn zum »Geschenk.« Sie sagt, sie habe das alles aus Liebe zu ihrem Sohn getan. Zum letzten Mal war ich heute in ihrer Zelle«, und man merkt ihm seine Erleichterung an, als er das sagt. »Und nun lasst mich in Frieden, ich habe auch

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