Der Kartograph
Kraft zusammennehmen, um sie nicht wie ein Ochse
anzustarren. Er wandte sich wieder seinem Gastgeber zu. Im Augenwinkel
bemerkte er noch, dass Philesius ihn mit einem amüsierten Funkeln
in den Bernsteinaugen beobachtete.
«Jeder Mann reagiert so auf Marie. Sie weiß das und nutzt
das entsprechend aus», erklärte der Jüngste in der
Runde mit verbissenem Gesicht. Martin Waldseemüller sah, dass sie
leicht errötete. Ihre Verwirrung machte sie womöglich noch
anziehender.
«Basiliu…», hob sie an. Doch Amerbach unterbrach ihren Protest.
«Basilius, mein Sohn, du solltest Marie nicht so behandeln.»
«Er ist eifersüchtig, Vater. Eifersüchtig auf jeden Mann, der nur in ihre Nähe kommt.»
«Bruno, vergisst nun auch du deine Erziehung? Was soll unser Gast
von uns denken. Nach allem, was ich von ihm hörte, käme er
niemals auf unziemliche Gedanken einem jungen, unschuldigen
Mädchen gegenüber. Schon gar nicht in seinem Zustand. Seht
ihr denn nicht, dass er kurz davor ist, wieder ohnmächtig zu
werden?» In den wasserblauen Augen des Druckers blitzte der
Schalk. Die Söhne funkelten den Vater wütend an.
Martin Waldseemüller hatte das Gefühl, dass zumindest
Amerbachs letzte Feststellung nicht gänzlich von der Hand zu
weisen war.
«Hier, nehmt einen Schluck», unterbrach die sanfte Stimme
von Marie Grüninger seine Selbstbetrachtungen, und eine zarte Hand
reichte ihm anmutig das Glas, das neben der Karaffe gestanden war. Sie
hatte sich überraschend schnell wieder gefasst, so als ob sie
solche Dispute schon zu kennen schien. «Der Bader, der vorhin
Euren Kopf untersuchte, hat irgendwelche Schmerztropfen und beruhigende
Kräuter hineingetan. Das wird Euch helfen. Dann hat er
erklärt: ‹Entweder übersteht er es, oder auch
nicht.› Jedenfalls ist in Eurem Schädel wohl kein Knochen
gebrochen, das Innere wurde nur gehörig durchgeschüttelt von
dem schlimmen Schlag, den Ihr erhalten habt.» Ihre Stimme war
ganz die einer praktischen Hausfrau. «Wenn …»
Gab es denn irgendetwas, das dieses Mädchen nicht auf wunderbare
Weise tat? Selbst solche Sätze wie: «Der Bader hat gesagt,
entweder übersteht er es, oder auch nicht» verloren ihren
Schrecken, wenn Marie sie aussprach, bekamen etwas Tröstliches,
Hoffnungsvolles.
Amerbach unterbrach sie. «Kinder, jetzt ist aber Schluss. Was
soll unser gelehrter Gast nur von euch denken! Ilacomylus – ich
darf Euch doch so nennen –, jetzt müsst Ihr wirklich
zunächst einmal erfahren, in wessen Haus und bei wessen
missratener Brut Ihr Euch befindet.»
Der Magister Ilacomylus nahm einen großen Schluck Wein. Er war
mit Wasser vermischt und schmeckte bitter. Er hoffte, dass statt des
Alkohols wenigstens das Schmerzmittel seine Wirkung tun und seinen
inneren Aufruhr etwas dämpfen würde.
«Mein Name ist Johann Amerbach, Drucker zu Basel. Ihr seid in
meinem Haus in der Rheingasse gelandet. Diese beiden Burschen hier sind
meine beiden größeren Söhne. Bruno ist der ältere
und Basilius der jüngere. Zusammen mit dieser vorlauten jungen
Dame und einem Freund, Matthias Ringmann, haben sie Euch im
Pferdekarren hierher gebracht, als Ihr ohnmächtig wurdet. Zum
Haushalt gehören außerdem mein Weib Barbara, meine Tochter
Margret und mein Jüngster, Bonifacius. Die drei sind unterwegs,
sie wollten auf den Markt. Doch sie müssen bald kommen. Die junge
Dame hier, von der bereits öfter die Rede war, ist Marie
Grüninger, die Nichte meines Freundes und Druckerkollegen Jean
Grüninger zu Straßburg. Der andere Gast, Matthias Ringmann,
genannt Philesius, ist einer der aufstrebendsten jungen Gelehrten
unserer Zeit. Er war der Lektor der Neuauflage von Gregor Reischs Margarita philosophica .
Außerdem hat er eine Edition des Briefes von Amerigo Vespucci
über dessen Reise von 1501/1502 in die neue Welt herausgebracht.
Da Ihr ja den Plan habt, eine Seekarte mit dem Weg zu den neuen
Territorien zu veröffentlichen, habt Ihr mit ihm sicherlich
einiges zu besprechen. Unser Freund Philesius und meine Söhne
haben sich übrigens beim Studium in Paris kennengelernt. Ich
wollte, die Zielstrebigkeit von Philesius würde sich etwas auf sie
übertragen.»
Und ob er etwas mit Philesius zu besprechen hatte! Seit Wochen schon
versuchte er vergeblich, an Abschriften der Original-Briefe zu kommen,
die der Florentiner Vespucci über eine seiner Reisen geschrieben
hatte.
Außerdem hieß es, Vespucci wolle eine ganze Abhandlung
über alle seine Fahrten verfassen, er sei sogar dabei, selbst
Karten zu
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