Der Kartograph
Einfassung der Mieder kündeten ebenfalls vom
Wohlstand der Familie. Auch wenn der schlichte, hoch geschlossene
Schnitt der Unterkleider wohl Zurückhaltung und Sittsamkeit
ausdrücken sollte.
Marie Grüninger wirkte mit ihrem sehr viel tieferen Ausschnitt und
den kräftigen Farben geradezu wie ein Paradiesvogel neben diesen
beiden bescheiden in Dunkel und Pastell gewandeten Frauen. Martin
Waldseemüller stellte erst jetzt fest, dass das Grün ihres
mit silbernen Litzen eingefassten Mieders genau zu ihren Augen passte.
Die geflochtenen Ärmel des Überkleides waren mit
dunkelgrünem Samt unterlegt. Ihr Haarnetz, das ebenfalls in
Grün und Silber glitzerte, vertiefte den Smaragdton ihrer Augen
noch. Im Moment hatte sie jedoch keinen Blick für ihn. Die jungen
Mädchen hatten sich in eine Ecke des Zimmers zurückgezogen,
flüsterten leise miteinander und kicherten.
Die Basler prunkten nicht so mit ihrem Reichtum wie die
Straßburger, das hatte Martin Waldseemüller begriffen. Sie
gaben sich zurückhaltend. Das galt selbst für ihre
Häuser. Diese sahen von außen, von der Straßenseite
her, eher schmucklos aus. Doch wer in die Innenhöfe kam, jenen
Teil des Hauses, der nur den Familien und ihren Besuchern vorbehalten
blieb, der wurde schnell eines Besseren belehrt. Manche dieser
Höfe waren an Pracht kaum zu überbieten. Brunnen
plätscherten in lauschigen Ecken mit Bänken und
begrünten Pavillons. Allerlei Blumen und Kräuter aus fernen
Regionen der Welt sowie Statuen aus aller Herren Länder, bevorzugt
nach der Art der alten Griechen, ergänzten das Bild. So manches
der teilweise wirklich antiken Kunstwerke hatte wohl als Gegenleistung
für ein anderes Gut den Besitzer gewechselt. Die Basler galten
nicht umsonst als geschickte Kaufleute.
«Wieso meine Kinder? Es sind doch deine Kinder, dachte ich immer,
werter Gatte», wehrte sich jetzt Barbara Amerbach. Sie schien
ihrem Mann an Schlagfertigkeit keineswegs nachzustehen. Martin
Waldseemüller verneigte sich höflich, so gut es mit seinen
zitternden Knien eben ging. Statt einer Begrüßung schlug die
Hausfrau die Hand vor den Mund und stieß einen kleinen Schrei
aus. «Ihr blutet ja, Magister. Bei Gott, was haben sie denn mit
Euch gemacht? Warum hat denn niemand die Wunde verbunden?»
«Er wurde überfallen, liebste Barbara», setzte Johann Amerbach zur Erklärung an.
«Ja, wir haben ihn gefunden, er ist vor unseren Augen in Ohnmacht
gefallen», mischte sich Marie Grüninger vom Esstisch aus ins
Gespräch. «Wir haben ihn hierher gebracht und dann den Bader
geholt.»
«Und der hat gesagt, entweder er schafft es, oder er schafft es nicht», fügte Basilius an.
«So, so, das hat der Bader gesagt.» Barbara Amerbach
schmunzelte. «Wie ich sehe, ist das Letzere der Fall.
Glücklicherweise. Kommt, junger Herr. Wir wollen Eure Wunde am
Hinterkopf verbinden. Ich werde allerdings dafür wohl einen Teil
eurer Kopfhaut kahl scheren müssen. Eure Haare sind ja mit Blut
verklebt. Derweil könnt Ihr mir erzählen, was Euch geschehen
ist. Christine, eil dich, ich brauche deine Hilfe, wir haben einen
Verletzten.»
«Gott segne den praktischen Verstand meiner Barbara»,
erklärte Johann Amerbach schmunzelnd und betrachtete seine Frau
liebevoll. Diese hatte keine Zeit, das zu bemerken. Sie bedachte die
ältere Frau, die auf ihr Rufen hin ins Zimmer gelaufen war, mit
einer ganzen Flut von Anordnungen. Unter anderem der, für den Gast
ein zusätzliches Gedeck fürs Abendbrot aufzulegen. Martin
Waldseemüller bekam keine Gelegenheit zu protestieren. Offenbar
war Barbara Amerbach nicht an Widerspruch gewöhnt. Philesius
blinzelte ihm verschwörerisch zu, als sie ihn am Arm packte und
aus dem Zimmer zog. Im Hinausgehen sah er noch, dass auf dem obersten
der wertvollen Amerbach’schen Brokatkissen ein großer
Blutfleck prangte. Barbara Amerbach wischte seine gestammelte
Entschuldigung mit einem knappen «Macht Euch darüber
bloß keine Sorgen» zur Seite.
Später, beim Essen, betrachtete Martin Waldseemüller die
Runde, in die er so unerwartet geraten war. Er fühlte sich wohlig
und zufrieden, sein Kopf schmerzte bereits bedeutend weniger. Die
Schmerztropfen taten ihre Wirkung. Allerdings zierte seinen Hinterkopf
nun tatsächlich eine kahle Stelle. Glücklicherweise war sein
kragenlanges Haar so lockig und dicht, dass dadurch der Makel beinahe
vollständig verdeckt wurde. Er sprach nicht viel während des
Essens, was aber niemanden zu stören schien. Die Mahlzeit war
nahrhaft und praktisch
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