Der Kartograph
– Gemüsesuppe, geräucherter
Rheinfisch, gepökeltes Fleisch, eingelegte Zwetschgen, eine
Pastete.
Martin Waldseemüller war glücklich, einfach zuhören zu
können. Das Stimmengewirr verschmolz zu einer angenehmen Musik,
fast schon zu einem Schlaflied. Ja, er fühlte sich erschöpft.
Barbara Amerbach hatte ihn tüchtig ausgefragt. Er trank seinen
Wein, hörte das Gemurmel der Unterhaltung am Tisch, immer wieder
unterbrochen von dem hellen Lachen Marie Grüningers.
Ein Diener zog die schweren Samtvorhänge vor den Butzenfenstern zu
und zündete die Kerzen im Kandelaber an. Da erst wurde Martin
Waldseemüller bewusst, dass die Nacht schon längst
hereingebrochen war. Wie konnte er nur so unhöflich sein und die
Gastfreundschaft dieser Menschen so lange in Anspruch nehmen! Er musste
sofort aufbrechen. Bei diesem Gedanken spürte er erneut einen
Stich, dieses Mal im Herzen und nicht im Kopf. Er konnte den Gedanken
kaum ertragen, Marie Grüninger vielleicht niemals wiederzusehen.
Doch es half nichts.
«Ich bringe Euch», erklärte Matthias Ringmann, als
Martin Waldseemüller seine Absicht kundtat, nun aber endlich
aufzubrechen.
«Aber es ist weit, wir müssen über den Fluss nach
Großbasel bis in die kleine Gerbergasse. Das ist fast beim
Heuberg. Wir werden eine Weile laufen müssen. Wollt Ihr Euch das
wirklich antun?»
Amerbach protestierte: «Ich werde Euch einen Diener mit dem
Pferdewagen mitgeben.» Doch Martin Waldseemüller bestand
darauf, zu Fuß zu gehen. «Die Nachtluft wird mir helfen,
meinen Kopf wieder klar zu bekommen», erklärte er.
«Ich hoffe, Euch bald wieder in meinem Haus begrüßen
zu dürfen», gab ihm der Drucker mit auf den Weg.
Martin Waldseemüller hoffte das auch. Denn dort, in der Rheingasse, lebte Marie.
Es hatte in der Zwischenzeit geregnet, eines jener kurzen, aber
heftigen Sommergewitter, nach denen die Welt wieder wunderbar sauber
duftete, hatte sich über Basel entladen. Gerade ausreichend Regen,
damit der Wind den Straßenstaub nicht mehr aufwirbeln konnte,
doch nicht genug, um die zähe Masse von Dreck und Kot in den
Rinnen in einen stinkenden Matsch zu verwandeln. Martin
Waldseemüller atmete tief ein, die kühle frische Nachtluft
füllte seine Lungen. Sie wandten sich nach rechts, der
Rheinbrücke zu.
Es war still in den Straßen von Kleinbasel, die Menschen
schliefen. Hin und wieder hörten sie das Miauen einer Katze.
Martin Waldseemüller hing seinen Gedanken nach. In der Dunkelheit
erinnerte ihn dieser Bereich der Stadt, die Häuser, die dicht an
dicht die Gasse säumten, ein wenig an Freiburg, besonders im
Sommer. Er lebte nun schon so lange in der Stadt am Rheinknie. Doch
noch immer fühlte er sich hier nicht so recht daheim. Noch immer
war er nichts als der arme Neffe eines Druckers, der es zu nichts
gebracht hatte.
Eine Weile gingen die beiden Männer schweigend nebeneinander her.
Martin Waldseemüller dachte an Marie. Und er überlegte, wie
er diesen Philesius näher kennenlernen konnte. Er musste ihn
unbedingt dazu bringen, ihm die originalen Briefe Vespuccis wenigstens
zu zeigen.
«Macht Euch keine Hoffungen. Sie ist versprochen. Grüninger
hat seine Nichte nur zu den Amerbachs geschickt, weil Barbara Amerbach
den Ruf einer tüchtigen Hausfrau hat. Marie ist Waise. Ihre Eltern
sind schon vor Jahren gestorben, kurz nacheinander. Die Mutter war
Grüningers jüngere Schwester. Grüninger und seine Frau
haben sie deshalb in ihrem Haus aufgenommen. Sie soll nun von Barbara
Amerbach lernen, einen Haushalt zu versehen, bevor sie heiratet. Ein
Mädchen wie Marie Grüninger ist nicht für Männer
wie Euch und mich bestimmt», unterbrach Ringmann den Fluss seiner
Gedanken.
«Ihr liebt …?»
«Ja, ich verehre sie auch. Jeder Mann verehrt sie. Doch der
einzige Reichtum, den ich besitze, der befindet sich in meinem Kopf.
Meine Familie ist einfach, ich komme aus armen Verhältnissen.
Marie ist eine Frau, die im Licht stehen muss, um zu glänzen, die
Gold braucht, Perlen, schöne Kleider. Das kann ich ihr nicht
bieten. Und Ihr seid ein studierter Theologe, ein Mann, der früher
sogar im Dienst des Bischofs von Konstanz stand, wie man hört.
Demnach ist sie auch nichts für Euch, Magister.»
Martin Waldseemüller schaute prüfend zu Matthias Ringmann
hinüber. Seine Miene wirkte angespannt. Doch was er sagte, wirkte
ehrlich.
«Das, was Ihr über mich sagt, hört sich zwar gut an,
aber eigentlich bin ich ein Niemand. Ich wurde im Kirchendienst immer
unzufriedener. Die Arroganz der
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