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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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hatte. Bald hörte er auf zu weinen und
sah mir in die Augen.
    Ich kannte sein Gesicht. Die Augen
seiner Mutter blickten mich an. Und als ich sang, flatterten seine Lider. Er
schlief ein.
    Die Kinderschwester war immer noch
aufgewühlt, presste sich immer noch die Hände mit ganzer Kraft auf die Ohren.
Sie sah dankbar auf und versuchte herauszufinden, welcher Dienstbote ihr zu
Hilfe gekommen war. Als ich ins Licht des Mondes vortrat, schien sie nicht
überraschter als Gluck, als er Orpheus in seinem Zimmer erblickt hatte.
Vielleicht hatte auch sie von mir geträumt.
    »Ich fürchte, ich muss Euch dort im
Schrank einschließen«, sagte ich zu ihr und wies mit dem Finger darauf. Sie
verfolgte meine Lippenbewegungen. »Ich möchte nicht, dass Euch die Schuld
gegeben wird. Sagt, dass Ihr Euch gewehrt habt.« Nein, sie verstand kein Wort,
aber sie ließ sich von mir zum Schrank führen und trat hinein, als würde ich
ihr in eine wartende Kutsche helfen. Ich sperrte sie ein. Sie schrie nicht um
Hilfe.
    Und dann war ich allein mit meinem
Sohn. Dieses süße schlafende Gesicht! Ein Engel in meinen Armen! Aber als ich
meinen Kopf senkte und wieder zurücklegte, merkte ich, dass das brummende
Gefühl in ihm nachgelassen hatte. Ich lauschte: Jeder dröhnende Schlag war
etwas leiser als der vorhergehende. Es gab nur eine Erklärung: Jemand hatte die
Stufen erklommen und meinen Freunden Einhalt geboten. Die Glocke läutete nur
noch durch den Schwung ihrer eigenen Bewegung; und das bedeutete, dass mir
lediglich ein paar Minuten blieben, bis sie verstummte, und ich hatte noch viel
zu tun.
    Ich nahm die Decken aus seiner Wiege,
hüllte das Kind darin ein und eilte den Gang hinunter. Das Haus hatte sich ein
wenig beruhigt – jeder hatte eine Ecke gefunden, wo er ruhig sitzen und sich
die Ohren zuhalten konnte, bis das Läuten aufhörte. Eine Person jedoch hörte
ich, als ich am Fuß der Treppe angelangt war. Anton stand in der Tür zu Gräfin
Riechers Arbeitszimmer – und versperrte mir den Fluchtweg.
    »Mutter!«, rief er. Er trat in den
Raum. Er betrachtete das zerbrochene Fenster. »Mutter!«, rief er noch einmal.
Mit seinen zugestopften Ohren muss er seine eigene Stimme wie durch einen
langen Tunnel gehört haben.
    »Mutter!«, rief er ein drittes Mal,
nicht drei Schritte von der Truhe entfernt, aus der man hin und wieder ein
Pochen hörte. Dann zuckte er die Achseln und schloss die Tür. Er wandte sich
zur Treppe – wenn er nach oben geblickt hätte, wäre sein Blick vielleicht auf
mich gefallen –, aber er entschloss sich, die Suche nach seiner Mutter im
unteren Stockwerk fortzusetzen. Er stieg die Treppe hinunter und verschwand.
    Es dauerte keinen Augenblick und ich
war im Arbeitszimmer und hatte die Tür hinter mir geschlossen. Schon hatte ich
einen Fuß auf dem Fenstersims, als mein Blick auf die Truhe fiel. In meiner
Eile hatte ich den Verschluss vorgelegt, aber nicht abgeschlossen. Ich
korrigierte diesen Fehler und warf den Schlüssel auf die vereiste Straße.
    Es würde Stunden dauern, bevor sie die
Frau herausbekamen.
    Vorsichtig trat ich auf das Dach
der Kutsche und kletterte auf Tassos Platz, den der kleine Mann seinen
Abmessungen angepasst hatte und nicht denen eines doppelt so großen Musico. In
einem Arm hielt ich mein kostbares Bündel, während ich mit der freien Hand die
Zügel ergriff. Vorsichtig, sagte ich mir, mit Pferden
kannst du nicht umgehen. Ich wendete die
Tiere, als wären sie ein Gespann rheumatischer Großmütter. »Langsam«, sagte ich
zu den sanften Stuten. »Kein Grund zur Eile. Wir haben vierhundert Meilen vor
uns.«
    Tripp-trapp ging es zum Eingang des
Stephansdoms. Als ich die Kutsche zum Stehen brachte, hörte ich, wie die
Pummerin den nackten Klöppel ein letztes Mal anschlug. Ihr Läuten hing noch in
der Luft, aber es tat Wiens Ohren nicht mehr weh. Ich kletterte vom Kutschbock
und betrat die Kirche, den Erben der Riechers sicher an meine Brust gedrückt.
    Es war genauso, wie ich befürchtet
hatte. Ich versteckte mich hinter einer Säule und spähte um sie herum, um meine
Freunde in Ketten zu sehen. Sechs Soldaten bewachten sie, während ihnen ein
weiterer Mann, nämlich der Kirchner, ins Gesicht schrie. Sie hatten ihre
Kopfbinden abgenommen, nur Nicolais Stück Musselin lag noch um seinen Hals wie
ein Schal. Alle drei stocherten immer wieder an dem Wachs in ihren Ohren.
    »Wisst ihr, was ihr getan habt?«,
brüllte der Kirchner. »Das ist eine heilige Glocke! Ihr habt jede Seele in

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